Kirchseeon:Legal sprayen

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Schüler des Gymnasiums Kirchseeon gestalten die Fassade des Schnabl-Hauses, bevor dieses abgerissen wird

Von Carolin Fries, Kirchseeon

Felix Rutkowski, Kunstlehrer am Gymnasium Kirchseeon, war "sofort Feuer und Flamme", wie er erzählt. Er darf zusammen mit Schülern der Mittel- und Oberstufe das Schnabl-Haus - von der Bundesstraße 304 an der Ecke zur Gartenstraße ist sie vielen Autofahrern ein vertrauter Anblick - mit Graffiti gestalten. Ein Konzept gibt es bereits: "Nature strikes back - Kirchseeon wird überwuchert". Die Natur rund um Kirchseeon, Wald und Wiesen sowie der im Gemeindewappen verewigte Nonnenfalter, der einst beinahe den Ebersberger Forst kahl gefressen hätte, werden sich von Montag, 25. Juli, an im Zuge der Projekttage des Gymnasiums, die unter dem Motto "Green life" stehen, das abbruchreife Gebäude zurückerobern - rein bildlich.

Das Haus, das bereits entkernt und mit einem Bauzaun gesichert ist, gehört der Gemeinde. Im Frühjahr 2017 sollen hier die Bauarbeiten für ein Haus für Kinder beginnen, die bestehenden Gemäuer sollen vorher, vermutlich im Spätherbst, abgerissen werden. Kirchseeons Jugendreferent Benedikt Gruber hatte die Idee, hier zuvor noch ein paar Träume wahr werden zu lassen. "Ich wurde immer wieder von Jugendlichen angesprochen, ob es nicht irgendwo einen Platz zum Sprayen gibt", erzählt er. Gruber wandte sich an Rutkowski, die Anfrage landetet im Gemeinderat. Das Gremium stimmte dem Graffiti-Projekt schließlich einstimmig zu - unter der Voraussetzung, dass Farben auf Acrylbasis verwendet werden, sodass das Gebäude nicht für viel Geld irgendwann als Sondermüll entsorgt werden muss.

Darf in Schönheit sterben: Das Schnabl-Haus wird vor dem Abriss zur Fläche für ein Graffiti-Projekt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Finanzierung der teuren Farbdosen ist im Moment das größte Problem von Rutkowski, der hofft, dass sich die Schüler wieder an den Kosten beteiligen. Im vergangenen Jahr war dies bereits bei einem Projekt an der Kita Zauberwald der Fall. Dort haben die Jugendlichen, dem Namen der Einrichtung entsprechend, Märchenmotive gesprayt, ebenfalls mit Farben auf wasserlöslicher Basis. Die Teilnehmer dieser Aktion sind in diesem Jahr wieder dabei, ergänzt von einigen "Spezialisten", die sich laut Rutkowski im Verlauf des Schuljahres im Kunstunterricht bewiesen haben. Er ist froh, mit den Graffiti einen Teil der kulturellen Geschichte der Gemeinde am Leben erhalten zu können. Auf dem ehemaligen Bahnschwellenwerk gab es in den 90er Jahren schon eine Sprayer-Szene, aus der unter anderem Rafael Gerlach alias SatOne hervorgegangen ist, der heute ein gefragter Künstler ist.

Die Vorbereitungen für das Vorhaben laufen auf Hochtouren. "Projekte in solchen Dimensionen erfordern von Seiten der Schüler ein enormes Maß an Eigeninitiative, Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft", sagt Rutkowski. "Sonst würde das Projekt in aller Öffentlichkeit scheitern." Die Jugendlichen müssten sowohl auf die architektonischen Gegebenheiten reagieren als auch für die Motive den geschichtlichen Kontext reflektieren. Ziel sei es, ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten, das dennoch einzelne Arbeitsweisen zulässt. Die Formsprache müsse verbindlich sein, auch wenn unterschiedliche Werke entstehen. Die Bildsprache, so die Idee, soll sich an den abstrahierenden Darstellungen von Rafael Gerlach orientieren, "selbstredend aber eher Hommage denn Kopie sein", erklärt Rutkowski. Am prägendsten schätzt der Pädagoge für die Schüler das Erlebnis ein, den öffentlichen Raum als gestaltbare Materie erleben zu dürfen und hier die Erfahrung zu machen, selber etwas zuwege bringen und bewirken zu können. "Das schafft ein Identifikationspotenzial, das sich kaum überschätzen lässt."

Die Kita Zauberwald hat schon einen passenden Wandschmuck bekommen. (Foto: privat)

Felix Rutkowski sieht freilich neben der Chance, ein öffentliches Gebäude gestalten zu dürfen, auch die Gefahren: "Graffiti ist und bleibt eine Untergrundkultur, deren großer Reiz auch in der Illegalität liegt". Dies mit all den möglichen Konsequenzen zu thematisieren, sei ebenfalls Teil des Projekts, erklärt der Kunstlehrer. Kirchseeons Bürgermeister Udo Ockel (CSU) sieht noch eine andere Gefahr: "Nachahmer, die's nicht können." Dennoch begrüßt er die Idee, "meistens sind's ja schöne Sachen." Wobei er einschränkt, dass die Schönheit stets im Auge des Betrachters liege.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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