Kirchseeon:Im Glauben an das Gute vereint

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Die muslimische Gemeinde in Kirchseeon lädt in ihre Gebetsräume ein, um den Islam zu erklären und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Dabei stellt sie sich auch kritischen Fragen.

Von Valerie Schönian, Kirchseeon

Ekremhan Tuncer begeht den Dschihad, mitten in Kirchseeon. Es geht ihm aber nicht um den Heiligen Krieg, sondern darum, den Frieden zu verkünden. Denn das ist es, was "Dschihad" im Islam eigentlich bedeutet. Terroristen, IS-Kämpfer, gewaltbereite Fundamentalisten hätten das Wort falsch ausgelegt und verbreitet, sagt Tuncer: "Dschihad hat nichts damit zu tun, mit dem Schwert rumzuwedeln." Der tatsächliche Islam und die Vorstellung, die über ihn herrscht, stimmten oft nicht überein.

Das will der Sprecher der muslimischen Gemeinde in Kirchseeon ändern. Am Samstag hat die muslimische Gemeinde deshalb in ihre Gebetsräume in Kirchseeon eingeladen. Die knapp 20 Besucher konnten sich dort umsehen, Fragen stellen, etwas über den Islam an sich hören und speziell über die Gemeinde in Kirchseeon. Ekremhan Tuncer hielt den Vortrag. Immer wieder betonte er, dass es im Islam um das Gute gehe, um Frieden. Darüber müsse man aufklären - auch die Muslime selbst: "Einige kennen ihre eigene Religion nicht richtig." Es käme immer wieder zu falschen Auslegungen.

Tuncer hat am Samstag versucht, sie richtig zu stellen. Dabei beantwortete er auch kritische Fragen: Wie ist das Verhältnis zwischen Ehemann und -frau im Islam? Tuncer: "Mohammed sagte seiner Frau jeden Tag: Du bist wunderschön, ich liebe dich. So sollen wir es auch tun, wenn wir nach Mohammed leben." Kommt man als Selbstmordattentäter laut Koran ins Paradies? "Selbstmord ist eine Sünde im Islam. Immer." Warten auf Männer im Paradies tatsächlich 72 Jungfrauen? Tuncer: "Im Koran ist von Engelwesen die Rede - für Männer und Frauen. Mit Sex hat das nichts zu tun."

Während des Vortrags saßen die Zuhörer auf dem Boden, der mit Teppich ausgelegt ist. Am einen Ende des Gebetsraumes steht eine Art Gebetsnische, die in Richtung Mekka zeigt. Es ist die Richtung, in die Muslime fünfmal am Tag beten. Darüber hängen zwei schwarze, runde Tafeln mit arabischen Schriftzeichen. Das eine bedeutet Allah, das andere steht für Mohammed, den Propheten. Der Raum ist voller Bilder und Symbole. Hinten rechts beispielsweise führt eine Treppe gegen die Wand. Von hier aus spricht der Imam während des Freitagsgebets, auf Arabisch. Der Text wird in Kirchseeon auf Deutsch an die Wand projiziert, weil ihn auch Gäste verstehen sollen.

Tuncer hob das Ziel der Verständigung in seinem Vortrag hervor. Außerdem betonte er die Ähnlichkeit des Islams zum Christentum. Ein Negativbeispiel sei, dass ihre Bücher zum Teil falsch ausgelegt worden seien. Martin Luther habe dem Christentum einen wichtigen Beitrag geleistet, weil er die Bibel übersetzte und die Menschen die Schrift selbst lesen konnten. Das müssten auch Muslime tun: den Koran selbst lesen, verstehen und nichts aus dem Zusammenhang reißen. Denn in Grundlegendem seien sich Christentum und Islam ähnlich. "Die Wahrheit ist überall dieselbe, wenn man an Gott glaubt. Wenn man an das Gute glaubt", sagte Tuncer.

Im Publikum saßen auch junge Besucher. Der zehnjährige Liam stellte nach dem Vortrag fest: "Es gibt gar keinen Hass im Islam." Überrascht habe ihn das, da es in den Nachrichten anders wirke. Leonie, acht Jahre alt, erzählte im Anschluss von ihrer Schulfreundin, die ebenfalls Muslimin ist: " Ich finde, das macht keinen Unterschied." Liam und Leonie waren nicht die ersten Schüler hier im Gemeindehaus. Mehrere Schulklassen hat Ekremhan Tuncer in diesem Jahr schon durch den Gebetsraum geführt. Die Gemeinde hatte die Schulen selbst angeschrieben und das angeboten. Diese Eigeninitiative begründet Sezai Baysal vom Vorstand der Gemeinde: "Wir müssen Klarheit über den Islam verschaffen." Es gehe um Öffentlichkeit, darum zu zeigen: Terrorismus hat nichts mit dem Islam zu tun. "Wir müssen immer selbstkritisch fragen, ob wir die Menschen genug über unsere Religion aufklären."

Seit den Anschlägen in Paris Anfang Januar sei die Gemeinde sehr aktiv gewesen, sagt Baysal. Auch die Bürger seien verstärkt interessiert: Viele kommen, sehen sich um, stellen Fragen. "Zuvor wussten viele nicht einmal, dass es dieses Gebetshaus seit zwölf Jahren in Kirchseeon gibt", so Baysal. Das habe sich geändert. Initiiert wurde der offene Nachmittag vom Ortsverband der SPD. Die Mitglieder waren damit einer Einladung gefolgt, die Tuncer im Januar in Ebersbergs bei einer Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen hatte. Erwin Hien, Vorsitzender des SPD-Ortsverbandes, wertete den Nachmittag als Erfolg. Trotzdem habe er mit mehr Besuchern gerechnet; zuvor hätten mehr Menschen Interesse bekundet.

Ekremhan Tuncer war trotzdem zufrieden mit der Veranstaltung. Er stellte auch selbst Fragen an das Publikum. Beispielsweise, wie oft das Wort "Schwert" im Koran vorkomme? Die Antwort gab er selbst: kein Mal.

© SZ vom 09.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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