Kirchenerkundung:Auf den Spuren des Heiligen

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Die Kinder folgen dem Pfarrer staunend durch die Kirche. Selbst in der dunklen Gruft bleiben sie unerschrocken. (Foto: Hoda Shoeir)

Pfarrer Josef Riedl nimmt beim Ebersberger Ferienprogramm 15 Kinder mit auf einen Rundgang durch Sankt Sebastian

Von Hoda Shoeir, Ebersberg

Am Eingang der Pfarrkirche Sankt Sebastian warten 15 interessierte Kinder auf Pfarrer Josef Riedl. Versprochen wurde ihnen ein Rundgang durch die ganze Kirche. Doch sie sind schon ungeduldig: So schnell wie möglich wollen sie auf den Kirchturm. Auch der neunjährige Kaspar - obwohl er Höhenangst hat, freut er sich unglaublich darauf, ganz oben neben den Kirchglocken zu stehen. Ein nervöser Blick analysiert das 52 Meter hohe Gebäude und fällt dann auf den lächelnden Pfarrer Riedl.

Der Pfarrer nimmt die Kinder mit auf eine historische Reise durch die Entstehungsgeschichte der Kirche. Wie gefesselt hören sie zu, als Riedl die Leidensgeschichte des heiligen Sebastian schildert, der im Jahre 250 vom Kaiser zweimal zum Tode verurteilt wurde. Er war ein Soldat in der römischen Leibwache, stellte sich jedoch gegen den Kaiser, als durch dessen Dekret im Lande Christen verfolgt wurden. Das erste Todesurteil sah vor, dass er an einen Baum gefesselt von Pfeilen beschossen werden sollte. Als er dieses überlebte, wurde er mit Knüppeln erschlagen. "Seinen Leichnam warfen sie in den römischen Fluss Tiber, er hat sich im Gestrüpp verfangen. Ein Teil seines Körpers ist sogar hier in der Kirche", erklärt Riedl und verursacht Staunen in der Runde. Plötzlich ist der Kirchturm doch nicht das Highlight der Führung.

Aber so schnell geht es nicht zum Relikt des römischen Märtyrers. Riedl zeigt auf die Decke, 15 Meter von seinem Kopf entfernt ist die eben erzählte Geschichte als Gemäldeserie an der Decke verewigt. "Wie ein Bilderbuch", erklingt es aus der Gruppe von Sieben- bis Zehnjährigen. Goldene Rahmen, wie es sie in der Kirche gibt, sind in Bilderbüchern allerdings nicht zu finden. Pfarrer Riedl verrät den Kindern ein Geheimnis: "Das ist nur Kulisse." Zwei Jungs, die schon im Theater waren, wissen ganz genau, was das ist. "Das sieht nur so aus, als wäre es massives Gold", fährt Riedl fort. In Wahrheit ist der prächtige Altar aus Gold eigentlich ein mit Goldblättern vergoldetes Holzhalbrelief. Die künstlerische Plastik wirkt dadurch für den Zuschauer wertvoll, wagt man einen Schritt dahinter, sieht man allerdings den hölzernen Hintergrund.

Das wirklich Wertvolle und Unbezahlbare in der Kirche liegt im Inneren der Kapelle verborgen. Ein Stahltür nach der anderen wird entsperrt, und schon befindet sich die Gruppe in dem Raum über dem Altar. In einer Vitrine steht die silberne Büste des Sankt Sebastian, und in dieser ist ein Teil des Heiligen erhalten. "Die Nase?", flüstert einer seinem Gegenüber ins Ohr. Zu seiner Enttäuschung ist es nicht die Nase. "In der Hirnschale von dieser Büste befindet sich die echte Kopfdecke des Sankt Sebastian", so Pfarrer Riedl mit dem Reliquiar in der Hand. Die Kinder rücken näher ran und möchten den Schädel anfassen. "Das ist sehr glatt", findet der neunjährige Valentin. 700 Jahre nach dem Tod des Heiligen ist der Leiter des Ebersberger Klosters nach Rom gereist und bat den Papst um ein Relikt für die Kirche. Er erhielt daraufhin diese Schädeldecke, die von dem erhaltenen Leichnam abgesägt wurde. Die Kinderbekommen große Augen und möchten den Schädel gleich noch einmal antasten.

Dass die Kleinen in der Hinsicht skrupellos sind, sieht man auch, als sie Pfarrer Riedl in die Gruft der Kirche führt. Sie diente als Friedhof für Mönche. Die Überreste in Form von Knochen und Schädeln liegen verstreut in den Grabhöhlen der Gruft. Keiner schnappt nach Luft oder guckt weg, stattdessen wird vorgedrängelt, um die Gebeine zu inspizieren. Ein Schädel mit einem Loch hat eine besondere Geschichte, er gehöre wohl einem Märtyrer, der bei den Plünderzügen der Schweden im 17. Jahrhundert, so heißt es, die Kapelle schützen wollte und dabei erschlagen wurde. "Leben die noch?", fragt der besorgte Valentin und bringt den Pfarrer zum Lachen. Oskar macht sich auch Sorgen um die Kirche und guckt sich nach dem Verlassen der Gruft um, in der Hoffnung ein vollfunktionsfähiges Sicherheitssystem zu finden.

Kaspar ist anderweitig bekümmert. Bis jetzt musste er sich seiner Angst nicht stellen, nun geht es hoch in den Kirchturm. Vor den Spinnenweben an der Decke und an der wackeligen Holztreppe fürchtet er sich überhaupt nicht, aber er klammert an dem Treppengeländer, als würde sein Leben davon abhängen. Eine quietschende Stufe nach der anderen, und er hat es geschafft. Nach dem kurzen Orgelexkurs, bei dem Pfarrer Riedl erklären muss, dass der "Tutti"-Schalter, der alle Klangregister erklingen lässt, nichts mit "Tutti Frutti" zu tun hat, geht es zu der Kirchenglocke.

Womöglich neigen sich die Kinder dieser ab, weil sie an die Pausenglocke erinnert. Sie halten sich bei dem Gong die Ohren zu und möchten möglichst schnell herunter. Und siehe einer an, als erstes geht Kaspar herunter, ohne sich an dem Geländer festzuhalten.

© SZ vom 23.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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