Kirchenasyl:Wenn die Kirche gegen den Staat agiert

Lesezeit: 3 min

Kirchenasyl kann bei Flüchtlingen manchmal eine drohende Abschiebung verhindern. Beim Katholischen Kreisbildungswerk erklärt ein Jesuit, in welchen Fällen dieser Schritt sinnvoll ist.

Von Christian Endt, Ebersberg

Wenn eine Pfarrgemeinde Flüchtlingen Unterkunft gewähren möchte, sagt Dieter Müller, gibt es zwei Möglichkeiten: "mit oder gegen den Staat". Ersteres ist der Fall, wenn die Kirche den Behörden Wohnraum für die Flüchtlingsunterbringung anbietet. Darum geht es an diesem Abend aber nur am Rande. Im Mittelpunkt der Veranstaltung im katholischen Pfarrheim steht die zweite Option, die gegen den Staat: Kirchenasyl.

Müller ist Mönch des Jesuitenordens und arbeitet für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst in München. Seine Hauptaufgabe ist es, Kirchenasyle zu vermitteln und die Gemeinden diesbezüglich zu beraten. Nach Ebersberg ist er auf Einladung des Kreisbildungswerks (KBW) für einen Infoabend gekommen. Im Publikum sitzen viele Ehrenamtliche aus den Helferkreisen. "Das Thema Abschiebung ist in Ebersberg ein großes Thema", sagt KBW-Geschäftsführerin Claudia Pfrang zu Beginn. Vor allem um afghanische Flüchtlinge machen sich die Helfer derzeit Sorgen.

"Das Kirchenasyl ist eine Möglichkeit, um Dublin-Abschiebungen zu verhindern" erklärt Dieter Müller. Nach dem Dublin-System sollen Asylbewerber in dasjenige EU-Land abgeschoben werden, in dem sie zuerst registriert wurden. Bulgarien, Italien und Ungarn seien die "kritischsten Staaten", so Müller: "Dort müssen viele Flüchtlinge auf der Straße leben."

In Griechenland ist die Situation noch schlimmer, dorthin finden daher keine Abschiebungen statt. Wenn ein Abschiebebescheid für einen Dublin-Staat vorliegt, haben die Behörden in der Regel sechs Monate Zeit, diesen zu vollziehen. Wenn diese Frist im Kirchenasyl überbrückt werden kann, ist danach eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens in Deutschland möglich.

Was am Ende dieses Verfahrens passiert, ist eine andere Frage. "Ein Kirchenasyl macht nur Sinn, wenn man anschließend Chancen im Asylverfahren hat", so der Jesuit. Das trifft vor allem auf Syrer, Iraker, Iraner und Eritreer zu, eingeschränkt auch für Afghanen: "Bei denen steht es 50:50." Bei Senegalesen hat Müller wenig Hoffnung: "Der Senegal gilt als sicheres Herkunftsland, dorthin wird immer abgeschoben." Da sei es besser, im Dublin-Verfahren zurück nach beispielsweise Italien zu gehen und zu hoffen, dass die dortigen Behörden die Abschiebung nach Afrika nicht vollziehen.

Somalier dagegen könnten immer bleiben: "Das ist ein failed state, dahin gibt es nicht mal Flüge". Die Kirche habe mit Bettina Nickel auch eine Vertreterin in der Härtefallkommission des Innenministeriums, dort könne man häufig etwa tun, etwa bei drohender Familientrennung.

Um die komplizierte Thematik anschaulicher zu machen, zeigt Müller die ARD-Dokumentation "Lampedusa im Pfarrhof", in der unter anderem ein Flüchtling ins Kirchenasyl in Tutzing begleitet wird. Im Landkreis Ebersberg gibt es derzeit keinen Fall. Im Sommer war ein Mann in Zorneding im Kirchenasyl.

Die Zuhörer im Pfarrsaal interessiert vor allem, wie das Kirchenasyl konkret funktioniert. Der richtige Zeitpunkt? Gegen den Abschiebebescheid solle man zuerst Klage einreichen, sagt Müller. Wenn die scheitert, sei es Zeit fürs Kirchenasyl. Und: "Kein Kirchenasyl sollte ohne Anwalt durchgeführt werden." An dessen Kosten würde sich die Jesuiten-Flüchtlingshilfe in der Regel beteiligen.

Die geeigneten Räume? Müssen auf Kirchengrund liegen und "für die Behörden klar als kirchlich erkennbar sein" - also etwa im Pfarrhaus oder Pfarrzentrum, nicht aber in irgendeiner Immobilie in Kirchenbesitz. Wie findet man einen Platz? Man solle die benachbarten Gemeinden fragen, ansonsten helfe er selbst, Dieter Müller, aber auch bei der Vermittlung: "Ich suche bayernweit."

Was muss eine interessierte Gemeinde beachten? Die Entscheidung für oder gegen die Aufnahme eines Flüchtlings ins Kirchenasyl treffe nicht der Pfarrer, sondern die Kirchenverwaltung: "Da hat der Pfarrer nur eine einfache Stimme." Müller rät von einer Aufnahme ab, wenn es dafür nur eine knappe Mehrheit im Gremium gebe. Man müsse die Entscheidung gemeinsam umsetzen, die Gemeindemitglieder sollten auch bereit sein, Zeit mit dem Flüchtling zu verbringen.

Ob eigentlich die Religion einen Unterschied mache? Nein, sagt Müller: "Der Glaube spielt keine Rolle. Christen und Muslime werden gleichermaßen in Kirchenasyl genommen." Er kenne allerdings Fälle, in denen muslimische Asylbewerber nicht ins Kirchenasyl gewollt hätten - in der falschen Annahme, sie müssten dann zum Christentum konvertieren. Neben dem Kirchenasyl selbst haben die Helferkreisler viele allgemeine Fragen zum Flüchtlingsrecht, etwa ob eine Ausbildungsstelle oder Heirat die Chancen auf Anerkennung verbessern und was mit einer Bürgschaft für Asylbewerber verbunden sei.

In der Begrüßung hatte KBW-Chefin Pfrang eingangs die politische Debatte ums Kirchenasyl angesprochen und Bundesinnenminister Thomas de Maizière zitiert, wonach der Staat "keine Rechtsverletzung aus politischen Gründen hinnehmen" könne. Eine Grundsatzdebatte folgt jedoch nicht. Zornedings Pastoralreferent Christoph Müller spricht lediglich das Dilemma an, dass man nur wenigen helfen könne: "Es ist schwer, da eine Haltung zu finden. Wie reagiert man christlich?"

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: