Kabarett mit Tiefgang:Würde ist kein Konjunktiv

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Christian Springer spricht auch über sein humanitäres Engagement. Eine ganze Reihe von Geschichten an diesem Abend ranken sich darum, wie sich aus der Entfernung von vielen hundert Kilometern und aus wahrer Armut heraus deutsche und bayerische Wohlstandsprobleme darstellen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Christian Springer bringt mit Sprachwitz und spitzen Gedankenpfeilen im Alten Kino allerlei Komfortblasen zum Platzen

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Anekdoten, Gleichnisse, G'schichterl: In der Vielfalt seines Auftritts ist Christian Springer ein Kabarettist aus dem Lehrbuch. Wenn man dasitzt und ihm zuhört, kann man es sich gut vorstellen, wie es damals war, vor einigen Generationen, als die Bänkelsänger ins Dorf kamen oder die Märchenerzähler in die gute Stube. Wo einem durch bloßes Zuhören das eine oder andere Licht aufging, sich eine neue Blickrichtung öffnete und sich Zusammenhänge ergaben, wo zuvor Bruchstücke herumlagen.

Anders als seine inzwischen stillgelegte Fernsehfigur "Fonsi" ist Christian Springer keine Rolle mehr, sondern der schlagfertige, gewitzte Hausgast, den man sich immer dann herbeiwünscht, wenn es innerfamiliär wieder mal nur um alte Zöpfe, Kochrezepte und Krankengeschichten geht. Er ist damit auch derjenige, bei dem die Unauffälligen ein geschmerztes Gesicht machen, weil er gerade wieder etwas gesagt hat, wo zuviel Pfeffer drin war und zu wenig Sahne obendrauf - oder andere Zutaten, wie beim Schubeck, dem er als Rezept gegen den schädlichen Feinstaub die Empfehlung in den Mund legt: "Tut's an Ingwer nei, na geht's scho."

Die Feinsinnigeren mögen sich bei solch schnell abgeschossenen Spitzen wegducken und beim einen oder anderen hemdsärmeligen Wortwitz gedanklich auf der Eckbank zur Seite rücken - aber so, wie zu jeder Sonate ein flottes Forte gehört, damit das nachdenkliche Andante seine Tiefenwirkung zur Geltung bringt, genauso gehört der erzählte Witz zum Kabarett. Er ist die kurze Befreiung aus dem Schmerz der Erkenntnis, dass manches, was der dort vorne auf der Bühne von sich gibt, nicht nur die "draußen" angeht, sondern auch die "drinnen" im Saal des Alten Kino.

Nicht jedem im Publikum ist nach entspanntem Lachen, wenn Springer die Geschichte vom Lied "Die Gedanken sind frei erzählt", die auf einer deutschen Delegationsreise nach China dem Knabenchor aus dem Programm gestrichen wurde, weil die Gastgeber das so wollten. Ein Lied, mit dem einst Sophie Scholl ihrem inhaftierten Vater vor dem Gefängnis auf der Blockflöte ermutigend zuspielte. Ein Lied, das wie kein anderes für einen unveräußerlichen Wert steht, der unsere Kultur prägt. Da mag mancher im randvollen Alten Kino den eigenen Arbeitgeber im Sinn haben, der dem Diridari zuliebe auf den Wertekanon pfeift. Noch unangenehmer klingt die anknüpfende Anregung, dass ein Volk, in dem öffentlich gefordert wird, dass Ankömmlinge sich doch an die hiesigen Werte anpassen mögen, doch auch "die eigenen Werte mitnimmt, wenn es irgendwo hinfährt". Da gäben sich dann häufig die gleichen sehr zurückhaltend, die "mit dem Anwalt kommen, wenn das Kind in der Schule einen Fünfer kriegt".

Springer hält sich nicht zurück. Er fährt regelmäßig in den Libanon, wo der von ihm gegründete "Orienthelfer e.V." das Elend der Flüchtlinge aus Syrien zu lindern versucht. Eine ganze Reihe von Geschichten an diesem Abend ranken sich darum, wie sich aus der Entfernung von vielen hundert Kilometern und aus wahrer Armut heraus deutsche und bayerische Wohlstandsprobleme darstellen. Da wird der Kabarettist zum Moralisten, nicht mit der Keule, sondern mit dem Spiegel in der Hand - und dem Lehrbuch für Geschichte und Genetik. Blitzsauber abgeleitet aus der Tatsache, dass sich unter den erobernden Römern vor zweitausend Jahren reichlich syrische Bogenschützen befanden, die von der Salzach bis zum Lech ihr Erbgut unters Volk brachten, rief er allen Bewahrern vermeintlich astreinen Bayerntums zu: "Seid's a bisserl nett, d' Verwandtschaft kummt."

Wie auch der blühende bayerische Barock der Kunstfertigkeit italienischer Architekten und Maler, der bayerische Katholizismus den segnenden Händen irischer Mönche und der legendäre Monarch Max Joseph einer württembergischen Schloss-Wiege entsprungen sind und damit dem "mia" in "mia san mia" ein sehr weitschweifige Deutung beisteuere. Diese auf wenige Sätze verdichteten, scheinbar leichter Hand eingeflochten, tatsächlich aber bis Ultimo zugespitzten Botschaften lassen Scheinwahrheiten in sich zusammenfallen lassen wie einen Hefeteig im Luftzug. Hier offenbart sich die große semantische Eleganz und die Gedankenschärfe Springers, die ihn weit heraushebt aus der Masse der Spaßmacher und Komiker.

Das, was der Kabarettist seinem Publikum mit auf den Weg gibt, ist die Parabel über die kleine Angst Mimose, die nach hundertfachem Fallenlassen und Auffangen sich nicht mehr im Blumentopf einrollt, sondern mutig stehen bleibt, weil sie Vertrauen gefasst hat. "Bleibt's steh'n, wenn's angebracht ist, steh'n zu bleiben. Dazu braucht es nur einen kleinen Mut. Der rettet nicht die Welt, aber für den Alltag wäre viel gewonnen", sagt Springer. Er bekommt langen, kräftigen Applaus dafür.

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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