Integrationstheater Ebersberg:Auf der Bühne zu Hause

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Rassismus, Heimweh, Angst vor dem Verlust der eigenen Identität: Das Ankommen in einem neuen Land stellt eine Hürde für Migranten dar. Das Ensemble "DeAfro" zeigt bei der Neuauflage des Interkulturellen Theaters einen Ausweg aus der Malaise auf

Von Dorian Baganz, Ebersberg

Schweiß tropft Ahmed Ali Hussein von der Stirn auf den Bühnenboden. Theoretisch könnte es daran liegen, dass ein großer Scheinwerfer direkt auf ihn gerichtet ist, klar. Aber der wahre Grund ist vermutlich ein anderer: Der 25-jährige Akrobatikkünstler balanciert in schwindelerregender Höhe auf einem Brett, das wiederum auf wackeligen Rollen hin und her schwingt. Auf dem quietschgelben Pullover des Mannes aus Somalia, der seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland lebt, steht in schwarzen Lettern die passende Botschaft: "Testing the Limits".

Die Szene ereignet sich während einer der letzten Proben zum diesjährigen "Integrationstheater". Allerdings haben die jungen Migrantinnen und Migranten dem Projekt für 2020 einen neuen Namen verpasst: "DeAfro" - das steht für "Deutsch-Afro". Die finanzielle Förderung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) für das Interkulturelle Theater (IKU) im Alten Kino ist nach drei erfolgreichen Produktionen seit 2017 ausgelaufen. Das hätte das Ende der Darbietung bedeutenkönnen, bei der Menschen mit Migrationshintergrund gemeinsam eine Revue inszenieren. Mit Betonung auf "hätte": Denn die Kubanerin Nadriezka Rodriguez Reyes, die auch schon bei den vorherigen Projekten mit auf der Bühne stand, rief Ende vergangenen Jahres eine kleine Gruppe ins Leben, um ein weiteres Mal ein Stück auf die Beine zu stellen. Unter dem Titel "Oregano - Wurzeln wachsen langsam" wird es an diesen Freitag im Alten Kino aufgeführt.

Die Schauspielerin Nadia Rodriguez Reyes kam vor 15 Jahren aus Kubanach Deutschland. Sie war es,die dem InterkulturellenTheater (IKU) nach Auslaufen der staatlichen Förderung neues Leben einhauchte. (Foto: Christian Endt)

Nadriezka, die hier alle nur "Nadia" nennen, wurde in Kuba zur Schauspielerin ausgebildet. Vor 15 Jahren kam sie nach Deutschland. Doch so richtig festlegen, wo sie sich nun "mehr" zu Hause fühlt, möchte sie sich nicht. Im Zweifel aber in Deutschland, sagt sie, "ich habe zu viel in Kuba verpasst." Nach ein paar Jahren in einem bürgerlichen Land wie hier, wo man sehr viel Wert auf Privatsphäre lege, ginge ihr das Kollektivistische in ihrem Heimatland fast ein bisschen auf die Nerven, erzählt sie, die "sozialistische Art zu leben" in Kuba sei seither nicht mehr wirklich ihr Savoir-vivre. So ändern sich die Perspektiven.

Das aktuelle Stück drückt die Zerrissenheit aus, die Migranten nicht selten spüren. Der Plot lässt sich so zusammenfassen: Nadia beklagt sich bei ihren Freunden darüber, dass ihre kubanische Oregano-Pflanze mehr und mehr verrotte. Sie habe schon alles probiert: Dünger, frische Erde, neuer Topf - nichts habe geholfen! Einer der Kumpels bringt sie auf die Idee, dass das Gewächs vielleicht schlicht und ergreifend seine Heimat vermisst: Kuba. Gemeinsam versuchen sie "Oregano", den grünen Protagonisten des Kammerspiels, ein wenig aufzuheitern. Der 22-jährige Adhanum Tesfaldet alias "Tesfa" probiert es mit Rapmusik. Er spittet ein paar Lines über Heimat, Familie und den kalten Kapitalismus hierzulande. Am Ende gibt er der Pflanze einen Fist-Bump, "krasser Song, Bro!"

Unterstützung bekommen die Künstler von der Dramaturgin Dorothea Anzinger: "Das Ziel ist Inklusion." (Foto: Christian Endt)

Die Probe steckt voller Energie: Mal wird gerappt, mal balanciert, dann prosaisch gedichtet. Im November hatten Nadia, Ahmed, Tesfa und die anderen mit den ersten Planungen begonnen. Als sie merkten, dass das alles sehr knapp werden könnte bis zur Aufführung Ende Februar, tätigten sie einen Anruf: "Doro, kannst du uns helfen?" Und hier ist sie also: Dorothea Anzinger, die Dramaturgin und "gute Seele" des Projektes. Sie war schon dabei, als das IKU noch Förderung vom Bamf bekam. Die diesjährige Aufführung sei nur durch die Finanzierung des Alten Kinos möglich, erklärt sie. Und durch einen "kleinen, privaten Sponsor." Vor der Bühne sitzend ruft sie den Schauspielern zwischendurch Anweisungen zu: "Ja! Sagt ruhig auch mal Fuck!" "Seid albern!" Improvisationstheater ist eben ihr Metier. Über 30 Jahre ist sie schon im Geschäft - ein "Bühnentier", wie sie selbst sagt.

Den Begriff "Integration" mag sie hingegen nicht verwenden, "das Ziel ist Inklusion." Sie wünsche sich eine Welt, in der gar nicht mehr thematisiert würde, ob jemand migrantisch sei oder zur LGBTQ-Szene gehöre. In dem IKU-Projekt sei es in der Vergangenheit auch darum gegangen, Ressentiments zwischen den Migranten abzubauen, sagt sie. Zwischen Afghanen und Syrern zum Beispiel. "Nur weil wir alle schwarz sind, sind wir noch lange nicht alle gleich", ergänzt Nadia. Spätestens nach den Aufführungen seien Feindschaften und Vorurteile aber perdu gewesen: Man hatte ein gemeinsames Produkt entwickelt. Damit war der Rassismus der anderen aber noch nicht aus der Welt.

Gerade wird im Münchener Volkstheater der Roman "Wer hat meinen Vater umgebracht" inszeniert. Dort beschreibt der Schriftsteller Édouard Louis in exzellenter Weise die Fremdenfeindlichkeit seines alten Herren - und seine eigene Verachtung für ebenjene. Er paraphrasiert unter anderem den amerikanischen Intellektuellen Ruth Gilmore, für den Rassismus bedeute, "bestimmte Teile der Bevölkerung einem verfrühten Tod auszusetzen." Doch Louis war als weißer Franzose nie selbst von ethnischer Diskriminierung betroffen. Die Verachtung des Autors ist eine moralische, keine, die auf Erfahrung beruht. Die der jungen Leute im Alten Kino schon.

Wer kommt zu einer Veranstaltung, wie sie am Freitag dort stattfindet? Sind es nicht jene Leute, die der Migration sowieso positiv gegenüberstehen? Kosmopoliten, Demokraten, Linke, Grüne - die "Anywheres" eben, die der britische Journalist David Goodhart den heimatverbundenen "Somewheres" gegenüberstellt? "Ich hoffe, dass wir auch Menschen mit Berührungsängsten anziehen", antwortet Dorothea. Vorhang zu und alle Fragen offen.

De-Afro: "Oregano - Wurzeln wachsen langsam" a m Freitag, 28. Februar um 20.30 Uhr im Alten Kino. Vorverkauf unter (08092) 85 10 11 oder unter www.kultur-in-ebersberg.de.

© SZ vom 27.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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