In der Grafinger Bücherstube:Nicht nur Trümpfe im Quartett

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In Grafing kommen regionale Autoren zu Wort: Johanna Mischlewski, Sebastian Schlagenhaufer, Michael Lieb und Helga Sadlak (von links). (Foto: Christian Endt)

Vier Literaten aus der Region liefern Überzeugendes, aber auch Unangemessenes ist zu erleben

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Manchmal ist es ja so, dass man sich an ein Buch nicht herantraut, obwohl es in der Zeitung des Vertrauens schon einladend besprochen ist. Unter solchen Umständen kann eine Begegnung mit dem Autoren hilfreich sein. Weshalb es einer Buchhandlung gut ansteht, Schriftsteller einzuladen und den Kunden damit ein weiteres Tor zur Lektüre zu öffnen. Die Ebersbergerin Helga Sedlak hat diese Gelegenheit genutzt, am Freitag in der Grafinger Bücherstube. Auch wenn sie selbst nicht gut bei Stimme war und das Lesen ihrem Ehemann überließ, so entfalteten die literarischen Bilder ihrer Biografie eine so starke Anziehungskraft, dass "Die Donau war nicht an allem schuld" jetzt nicht mehr auf der Wunsch-, sondern auf der Bestellliste steht. Wobei derlei bei der Buchhandlung in der Nachbarschaft, zu der man hingeht, nicht hinsurft, auch offline möglich ist.

Im literarischen Quartett - Buchhändlerin Catherina Slawik hatte vier Gäste aus der Region eingeladen - also schon mal ein Treffer. Als solcher erwies sich auch der Grafinger Sebastian Schlagenhaufer, der aus seinen multiplen kulturellen Talenten jenes des Kabarettisten in den Vordergrund rückte. Er punktete mit pointierten, saftigen 20 Minuten, in denen er das Hohelied des Zufallsprinzips für politische Ämter sang - "Warum wählen, wenn schon Plato sich fürs Losen aussprach?" - und aus seiner Phobie keinen Hehl machte, von Weltraumschrott erschlagen zu werden. Gleichzeitig lieferte er, vor der Rubrik "Lebenshilfe" agierend, eine trefflich zugespitzte Einladung, für Antworten auf komplexe Fragen gelegentlich zum Buch zu greifen, statt sich aufs Hörensagen zu verlassen.

Zu welcher Komplexität Autoren fähig sind, wenn sie kunstvolle Gedankengebilde zu Papier bringen, zeigte die Grafingerin Johanna Mischlewski. "Sehr viel Ungereimtes" sei in ihrem Lyrikband versammelt, warnte die ehemalige Gymnasiallehrerin die Zuhörer vor der Erwartung, dass sich gute Gedichte an identischen Endsilben aufeinanderfolgender Zeilen erkennen lassen. Ihre stark von den strengen Regeln der japanischen Haiku-Kunst inspirierten Gedichte und Gedanken forderten denn auch dringend die ganze Aufmerksamkeit des Publikums. Darum hätte man sich mehr Ruhe und mehr Zeit gewünscht, ihre Lyrik wirken zu lassen. Bei Betrachtungen über Märchen wie "Aschenputtel" oder "Hänsel und Gretel" brauchen Fragen wie "Wo bleibt der Prinz in diesen Zeiten?" oder "Wer legt mir Kiesel aus?" eben auch Antworten, die nicht auf der Hand liegen. In der dichten Folge von insgesamt 17 Poemen ging daher der eine oder andere Hörer unterwegs verloren - und hat dabei solche Gemmen wie das "Höhlengleichnis" verpasst, in dem die Dichterin allerlei Redewendungen in Sinn und Gegensinn ausspielt und zu einer faszinierenden Wortskulptur formt.

Da hatte es der vierte im Bunde leichter, der Schauspieler Michael Jacques Lieb. Sein Parforce-Ritt durch die Bühnenliteratur von "Faust" bis "Woyzeck", seine literarische Archäologie bei Nietzsche und Heinz Erhardt ließen Entertainment-Qualitäten des erfahrenen Klinik-Clowns erkennen. Mit solchen Evergreens und kuriosen Wortschöpfungs-Fundstücken aus der eigenen literarischen Frühzeit - "kreischumrauschendes Leben" - bringt einer Freude dorthin, wo Krankheit und Verzweiflung nicht die Oberhand behalten dürfen. Da toleriert man sogar seinen Griff in die Reich-Ranicki-Lispel-Mottenkiste.

Aber: In der "Woche der unabhängigen Buchhandlungen" ein Lamento über die Gewalt im "Tatort" anzustimmen und als Alternative "Amazon Prime" zu empfehlen, das auch "Flipper" oder "Bonanza" im Programm habe, das ist garantiert fehl am Platze. Da fragt man sich dann doch: Hat da noch einer alle Taschenbücher im Schrank? In der kleinen Bücherstube den konkurrierenden Konzernmoloch anzupreisen? Nicht lustig. Hätte er statt "Flachbildschirm" wenigstens Flachhirnschirm gesagt, wäre es Satire gewesen. Darüber hinaus zeigte Lieb sich als einer von jenen Schauspielern, die so selbstverliebt in ihr Können sind, dass man sie nicht einmal mit Applaus von der Bühne bekommt, sobald sie diese für sich allein haben.

Das Publikum in der bis auf den überletzten Platz besetzten Bücherstube trug's mit Fassung und honorierte das breite Spektrum lokalen literarischen Potenzials mit anerkennendem Applaus - und die Begleitung durch den Cellisten und Gitarristen Robin Brunnthaler und seinen Vater mit begeistertem Beifall. Wohlverdient, sei angemerkt, denn die filigranen musikalischen Intermezzi wären ein Eintrittsgeld wert gewesen.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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