Im Stadtmuseum Grafing:Wider den Schredder

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Bei einer Tagung der kommunalen Archivbetreuer wird klar, dass diese oftmals viel Überzeugungsarbeit leisten müssen

Von Anja Blum

Die Archivare der Kommunen im Landkreis haben keinen leichten Stand. Diesen Eindruck vermittelte jedenfalls die Tagung am Mittwochnachmittag, zu der etwa die Hälfte der Ebersberger Archivbetreuerinnen und -betreuer ins Grafinger Museum gekommen war. Mehrere von ihnen berichteten nämlich, dass in den Rathäusern und Schulen oftmals alte Unterlagen lieber weggeworfen als archiviert würden. "Plötzlich war alles in den Schredder gewandert, obwohl ich darum gebeten hatte, die Sachen zuvor aussortieren zu dürfen", erzählte eine der Archivarinnen. Vielen Mitarbeitern fehle es eben an dem Bewusstsein, dass historische Dokumente wichtig seien, um die Ortsgeschichte erforschen und bewahren zu können, so der Tenor. "Was wir da machen, ist kein Privatvergnügen", brachte Grafings Museumschef und Stadtarchivar Bernhard Schäfer das Problem auf den Punkt. Und Christoph Bachmann, Leiter der Staatsarchivs München, der als Referent gekommen war, spendete Trost: "Es ist überall dasselbe - Sie sind nicht allein!"

Außerdem gaben die beiden Historiker den Archivaren diverse Informationen und Argumente an die Hand, um ihre Interessen gegenüber Bürgermeistern oder Schulleitern besser vertreten zu können. Beide stellten dabei klar, dass die Archivierung keinesfalls freiwillig, sondern eine Pflichtaufgabe sei. "Das ist auch in Gesetzen verankert." Alles vor dem Jahr 1950 müsse abgegeben, Jüngeres dem Archiv zumindest angeboten werden. "Auch das gehört zur Transparenz einer Verwaltung, diese muss nachvollziehbar sein, selbst in der Vergangenheit", erklärte Schäfer. Dieser Anspruch ende bei Unterlagen nicht mit deren Aufbewahrungsfrist. Das Staatsarchiv in München, berichtete dessen Leiter, erhalte pro Jahr etwa 800 Meter Unterlagen. Und gerade im Baubereich reichten die Anfragen oft bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück: "Baugenehmigungen, Wasser-, Betretungs- oder Wegerecht: Überall da kann es plötzlich entscheidend sein, was einst festgelegt wurde."

Nicht jedem ist die Wichtigkeit historischer Dokumente bewusst, beklagen die Betreuer der Archive im Ebersberger Landkreis bei ihrer Tagung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zuvor hatte Christoph Bachmann gesprochen über "Unterlagen zur NS-Zeit in den staatlichen Archiven Bayerns", schließlich widmet sich die aktuelle Sonderausstellung im Museum der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Grafing. Ohne Manuskript, aber mit viel Expertise legte der Archivchef den Ebersberger Heimatforschern seine "Quellenkunde" dar, wobei sich der ein oder andere als ausgezeichneter Stichwortgeber erwies. Doch nicht nur, welche Dokumente wo aufzufinden sind, und welche versprechen, ergiebig zu sein, erklärte Bachmann, nein, er streute auch immer wieder Ideen ein, welche blinden Flecken erforscht werden könnten.

Die Architektur der NS-Zeit etwa könnte laut Bachmann ein lohnendes Feld sein, da in den Landratsämtern alle Bauunterlagen überliefert sein müssten. "Da gibt es unendlich viele Pläne und Schriftverkehr, so dass sich da bestimmt Linien herausdestillieren lassen. Die Siedlungen für Flüchtlinge etwa könnte man architektonisch analysieren, da gibt es bestimmt viele Parallelen." Gar als "Trauerspiel" bezeichnete es Bachmann, dass das umfangreiche System der Lebensmittelregulierung noch nie eingehend untersucht worden sei. Dabei habe es dafür neben den eigens eingerichteten Ernährungsämtern unzählige Verbände gegeben, so dass viele Quellen existierten, von amtlichen Bekanntgaben über zeitgenössische Literatur bis hin zu Filmen. "Wie hat man diesen Autarkiegedanken praktisch umgesetzt? Das ist doch eine total spannende Frage!"

Doch diese Dokumente sind entscheidend, um Ortsgeschichte zu erforschen und zu bewahren. (Foto: Christian Endt)

Gerade im ländlichen Raum aber biete sich ja ein landwirtschaftliches Thema an, so Bachmann, zum Beispiel über die Hofbegehungskommissionen. Diese hätten von 1933 an Bauernhöfe begutachtet und deren Zustand protokolliert, "von den Maschinen über die Viecher bis hin zu den Böden". Damit gäben diese Unterlagen einen tiefen Einblick in das bäuerliche Leben. Und wieder lieferte Bachmann gleich eine knackige Fragestellung mit: "Wie leistungsfähig war denn der neue Adel der Blut-und-Boden-Ideologie überhaupt?" Im Falle der Erbhöfe zum Beispiel habe das Verbot, Schulden aufzunehmen, zu einem massiven Investitionsstau geführt, so dass Deutschland bei der Maschinisierung weit hinten gelegen habe. Ein ebenfalls höchst interessantes Thema sei die Enteignung von Großgrundbesitzern in der Nachkriegszeit. "Sie mussten zehn Prozent ihres Bodens abgeben - für die vielen Flüchtlinge. Das hat natürlich extreme Probleme mit sich gebracht."

Generell betonte der Münchner Archivleiter, dass sich bei einer Beschäftigung mit der NS-Zeit an der Recherche nicht viel ändere. "In den Behörden ging das Tagesgeschäft 1933 ja einfach weiter, nur unter anderen Vorzeichen", sagte er. Insofern gebe es nur wenige Quellen, die typisch seien für dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Bachmann nannte derer drei: die Sondergerichte für Verfahren im Sinne des Heimtückegesetzes, die Anerbengerichte sowie die Dokumente über die NSDAP, an deren Digitalisierung sein Archiv derzeit arbeite. Zur Gestapo gebe es leider in München nur mehr wenige Akten, das meiste sei 1944 beim Brand des Wittelsbacher Palais zerstört worden.

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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