Im Saal des Ebersberger Schlosses:Roadmovie mit Onkel - leider tot

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Die 30-jährige Schriftstellerin Vea Kaiser hat ein Händchen für liebenswürdig schrullige Figuren. Aber auch der historische Saal des Ebersberger Schlosses als Ort der Lesung mag so manchen Gast angelockt haben. (Foto: Christian Endt)

Die österreichische Autorin Vea Kaiser liest in einzigartiger Kulisse aus ihrem neuen, so tiefgründigen wie tragikomischen Familienroman

Von Michaela Pelz, Ebersberg

"Jetzt bräuchten wir Hilfe vom Schlossgespenst", scherzt die junge Frau mit den langen dunklen Haaren, als die Sache mit dem Mikrofon erst nicht so recht klappen will. Irgendwo pfeift ein Hörgerät. Die Autorin bleibt entspannt, die zahlreichen Gäste ebenso. Eine Hightech-Soundanlage hat ohnehin niemand erwartet an diesem ganz besonderen Ort mit Deckengemälde, einem Boden aus dicken Fichtenholzbohlen und 130 Jahre alter Tapete, an dem sonst eher selten Veranstaltungen stattfinden.

Manch einen mag vielleicht sogar die Neugier auf den historischen Saal in den ersten Stock der "Residenz" am Ebersberger Marktplatz geführt haben. In erster Linie aber sind die Leute natürlich zur Lesung von "Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger" gekommen, um sie zu sehen und zu hören: Vea Kaiser, seit ihrem fulminanten Romandebüt im Jahr 2012 Shootingstar nicht nur der österreichischen Literaturszene. Die heute 30-jährige hat ein Händchen für Familiengeschichten der ganz besonderen Art - einfühlsam haucht sie ihren liebenswert schrulligen Figuren Leben ein, so dass man diese ebenso schnell ins Herz schließt wie die wandlungsfähige Wahlwienerin mit dem ansteckenden Lachen selbst, die nun im grünen Ohrensessel Platz genommen hat und mit komödiantischem Talent ihren Protagonisten Stimme verleiht.

Los geht es mit der Beschreibung eines Abendessens - durchaus passend, soll der Saal doch vor vielen Jahren den Mönchen als Refektorium gedient haben - zu dem die aus dem niederösterreichischen Waldviertel stammenden Tanten Mirl, Wetti und Hedi ihren Neffen Lorenz und dessen neue Freundin eingeladen haben. Es gibt Schnitzel und allerlei Paniertes. Viel davon. Sehr viel davon. Und während die Damen den Besuch zum Essen nötigen, wird schnell klar, wer in der Familie die Hosen anhat - sicher nicht der Möchtegernschauspieler mit dem überschaubaren Talent, ausgeprägten Selbstbewusstsein und den stets leeren Taschen. Kein Wunder also, dass der überraschende Tod von Onkel Willi für den 30-Jährigen in mehrerlei Hinsicht zur absoluten Katastrophe wird: Nicht nur hat er seinen väterlichen Mentor verloren, sondern die Tanten nötigen ihn auch zur Mitwirkung bei einer Straftat - illegalem Totentransport! Tante Hedis nun verblichener Ehemann hatte nämlich den Wunsch geäußert, in seiner Heimat Montenegro bestattet zu werden, was auf reguläre Weise aufgrund der Kosten nicht in Frage kommt. Also müssen die 1029 Kilometer per rotem Fiat Panda zurückgelegt werden - nachdem ein befreundeter Metzger den Onkel im Kühlhaus auf Reisetemperatur gebracht hat.

So nimmt das Roadmovie seinen Lauf - mit Lorenz am Steuer, neben ihm Onkel Willi mit Sonnenbrille und Käppi, hinten die warm eingepackten Tanten. Auf ihrem Weg machen sie allerlei interessante Begegnungen - etwa mit einer Gruppe osteuropäischer 24-Stunden-Pflegekräfte auf Heimaturlaub, die sich keinen Moment über den wahren Zustand des Passagiers auf dem Beifahrersitz hinwegtäuschen lassen, aber höchst unerwartet reagieren. Vor allem aber - daher auch der Titel "Rückwärtswalzer", mit dem Kaiser auf die fließende Bewegung zwischen Vergangenheit und Gegenwart innerhalb ihres Romans anspielt - wird die kleine Gruppe mit den in Rückblenden erzählten eigenen Erlebnissen konfrontiert, die ihnen mit der Zeit in ganz neuem Licht erscheinen. Dadurch bringt die Reise mit dem Verstorbenen auch die Lebenden an ganz neue Ufer.

Zu den im Untertitel erwähnten "Manen", nach römischer Überlieferung Geister der Toten, die auf das Leben ihrer Hinterbliebenen mal streng, mal liebevoll Einfluss nehmen, hat die Altphilologin Kaiser selbst eine besondere Beziehung, bekam sie doch durch einen von ihr veröffentlichten Nachruf auf die sehr geliebte Großmutter von neuem Kontakt zu dem Mann, mit dem sie seit August verheiratet ist. Auch sonst würzt die dem Leben und den Menschen zugewandte Österreicherin ihren Vortrag schlagfertig und charmant mit sehr persönlichen Anekdoten. Auch hebt sie hervor, dass es für sie das erste Mal ist, eine Lesung mit Bier- statt mit Wein-Begleitung zu absolvieren. Das wiederum ist dem Umstand geschuldet, dass Buchhändler Sebastian Otter in seiner Eigenschaft als Bier-Sommelier diverse Kostproben mitgebracht hat. So schließt sich der Kreis, denn Ur-Ur-Ur-Großvater Heinrich Schmederer, der von seinem Portrait auf der linken Seite des Kaminofens herunterblickt, war Brauereibesitzer.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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