Im Meta-Theater:Vom Sand der Zeit

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Ana Puerta Garía und José Rodríquez Ruiz bilden zusammen das Magie-Ensemble "Tuttilifamili". Er erwächst aus einem Sofa und sie, klar, wechselt ständig ihre Kleider. Und doch ist nichts wie es scheint. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Gastón Florín und seine spanischen Freunde zaubern eine magische Show auf die Bühne

Von Alexandra Leuthner, Moosach

Stille. Tiefe Stille. Alles wartet, hält den Atem an. Einzig die Zeit - sie verrinnt. Zerfällt in winzigste Teilchen aus Staub. Man hört sie vergehen. Jeder Versuch sie aufzuhalten, muss misslingen. Gastón weiß das. Und versucht es trotzdem, versucht das stete Verrinnen des Sands, den er aus einer Flasche geschüttelt hat, zu bremsen, das Rad der Zeit, der "Time in a bottle" zurückzudrehen, indem er den Sand immer wieder auffängt, eine Hand darunter hält, sie wieder nach oben hebt, um von neuem seinem Laufen zusehen zu müssen. Dann ist es plötzlich aus. Die Hände leer, die Zeit abgelaufen. Der wunderbare Abend mit Gastón Florín und seinen spanischen Freunden vergangen. Zu schnell, so wie es immer ist.

Und doch ist etwas anders: "Es kitzelt ein bisschen", hat Gastón gesagt über den Sand alias die Zeit, die über seine Hand gelaufen ist. Und dieses Kitzeln, dieses sanfte Gefühl wird bleiben bei allen, die an diesem Abend im Meta-Theater waren. Weil es sich festgesetzt hat als federleichte Erinnerung an einen hellbraunen Mantel etwa, an einem Kleiderhaken aufgehängt, der sich selbst eine Zigarette angesteckt hat, um dann den Rauch aus der Tiefe seines Revers' in die Luft zu pusten. An ein buntes Sofa, dass unter den magischen aber recht manipulativen Händen von Ana Puerta Garía ein Klosett, einen Tisch, ein Bild und schließlich einen ganzen Mann zu Tage bringt. An die Komödiantin selbst, die sich verwandelt, von einer alten Frau in eine junge und - "Schwupps, hast Du es gesehen?" - von einem in Grau in ein blau gekleidetes Fräulein, dessen Kleidungsstück aus blauen flirrenden Schnipseln geboren wurde. Zwischendurch schwirrt sie in Apricot über die Bühne und harmoniert aufs Schönste mit der Tischdecke, die ihr Partner José Rodríquez Ruiz aus einer Serviette gezaubert hat.

Nichts ist, wie es scheint, alles ist im ständigen Wandel und gemeinsam sind die beiden in Madrid lebenden Künstler das Ensemble Tuttilifamili. Komplettiert wird die Magische 5 um den Brucker Lokalmatadoren Gastón Florín, durch Gonzalo Albiñana und Imanol Ituiño. Wie viel Nähseiden und Fingerhüte passen in eine Keksdose, scheint Ituiño zu fragen? Er kommuniziert über kleine Gesten und feine Mimik, fasziniert mit sparsamen Bewegungen. Und wer auch nur einen Augenblick nicht aufpasst, hat auch schon wieder eine jener winzigen Veränderungen versäumt, die Ituiño dem Zuschauer unterjubelt, als würde sie ihm einfach so passieren. Fingerhüte, die Hände wechseln, sich unaufhörlich vermehren, ihre Farben verändern. Fäden, die, natürlich, in ihre Einzelteile zerlegt wieder Eins werden. All das vielleicht keine spektakulären, aber in der Bescheidenheit des aus Bilbao stammenden Künstlers dargebotenen Art auf naive Weise verführerische Kunststücke. Man möchte sie nachmachen - zumal er in einer zweiten Sequenz Geldstücke aus Seifenblasen erschafft, die sich just in dem Moment verwandeln, wenn sie mit einem Klirren in seinem Eimer landen. Allzu schwer scheint das ja nicht zu sein: Ein Junge aus dem Publikum - mit erstaunlichem komödiantischen Talent - bekommt die Verwandlung ebenfalls hin. Na ja, ein bisschen Hilfe hatte er vielleicht.

Eine kleine Geschichte über Illusionen und eine Autofahrt mit seinem Vater erzählt Gonzalo Albiñana. Seine Hände lassen Schatten tanzen auf einer Leinwand und Apachen rauchen, eine Herde von wilden Stieren vorbeiziehen und eine Taube ihr Gefieder putzen. Ein Hund ist der beste Bauchredner der Welt, und am Ende bleibt alles nichts als ein Mysterium. Auf Spanisch erzählt er von den geheimnisvollen Wesen, die er eben erschaffen und, ein bisschen grausam vielleicht, gleich wieder vernichtet hat. Gastón übersetzt: "Das hat mein Vater von mir gewollt, und das wünsche ich auch für Euch, dass Ihr Euch Dinge vorstellt und anfangt zu träumen."

Wer nicht träumen mag, darf einfach staunen, darüber was das Ensemble Tuttilifamili mit einer schlichten weißen Tüte anfangen kann etwa. Ein paar Bewegungen und vier schwarzbehandschuhte Hände lassen statt Tüte ein Kaninchen aus einem Zylinder schlüpfen, das eine Maske aufzieht und zu Michael Jacksons "Thriller" Pfoten schwingt und Hüften kreisen lässt. Und dann zieht es noch die Spielkarte aus dem Hut, die zuvor eine Zuschauerin aus Ituiños Kartenspiel gewählt hat.

Ja, die Trickserei kann süchtig machen, und sie ist, wenn man "Trickaholiker" Gastón glauben mag, eine zerstörerische Neigung. Und man will ihm glauben! Es ist großartig, wenn der ausgezeichnete Bühnenkünstler den von seiner unseligen Leidenschaft gezeichneten Teilnehmer einer Selbsthilfegruppe mimt - Sohn lebt bei der Mutter, alles inklusive. Noch großartiger ist er bei seiner Verwandlung in "Jacqueline". Eine Perücke, ein Armreif, ein Strip genügen, um aus dem Er eine Sie zu machen. Und wo der Anzug in kleinen Stücken verschwindet und ein glitzerndes Etuikleid zum Vorschein kommt, verschwindet auch der Anzugträger so nachhaltig und vollkommen, dass man vergisst, dass Sie als Er auf die Bühne gekommen ist. Fast meint man, Gastóns wahres Ich dort unten zu erblicken, fast übersieht man, auf die metallenen Reifen zu schauen, die sich auf wundersame Weise ein ums andere Mal verschränken und lösen, Ketten bilden und erneut vereinzelt werden. Doch schon ist sie vorbei, die magische Zeit, irgendwo tief drinnen aber kitzelt es noch ein bisschen.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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