Im Labor der Gemütszustände:Süßes Gift, bitt'rer Schmäh

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In der Glonner Schrottgalerie ist das Publikum ganz nah dran an der Musik, hier an der von Manuel Kuthan, Ray Cipolla und Heinz Dauhrer alias "Glitzerbeisl". (Foto: Christian Endt)

Das "Raumschiff Glitzerbeisl" legt in Glonn eine musikalisch-anarchische Punktlandung hin

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Mit einer Zither, diversen Blasinstrumenten, einem Schlagzeug und drei Männerstimmen kann man einen großen Teil des musikalischen Universums abdecken. Vielleicht keine Gregorianik und keinen Hip-Hop, aber ansonsten sind kaum Grenzen gesetzt. Das Trio Raumschiff Glitzerbeisl, zusammengefunden aus dem Trompeter Heinz Dauhrer, dem Zupfinstrumentalisten Manuel Kuthan und dem Drummer Ray Cipolla, verzichtet indes darauf, sich in bestehende Stile und Kategorien einzufügen. Es schafft sich ein eigenes Genre.

Das passt gut in die Glonner Schrottgalerie, wo Stein und Metall in der Hand der Bildhauer ihre Funktion verlieren und neue Gestalt gewinnen. Weshalb das Publikum im gut gefüllten Raum dann auch einen Abend voller Eigensinn und Eigenklang durchlebt, bei dem nichts vorhersehbar ist und der die Anwesenden, ob sie sich nun als Jazzer, Blueser oder Rocker fühlen, mit überraschenden Drehungen und Wendungen eintaucht in ein großes Tintenfass, auf dass jeder in einer neuen Farbe daraus hervorkomme.

Wie das geht? Da sei zuallererst der Wiener Schmäh erwähnt, jene einzigartige Form der ironischen Alltagsbewältigung, die selbst ein warm angezogenes Objekt der Betrachtung (und Besprechung) unvermittelt nackt und bloß dastehen lässt. Wie das "Beisl" im Bandnamen zu erkennen gibt, widmet sich das Trio diesem Stilmittel programmatisch. Das alkoholselige Bad in zersetzender Gedankensäure steht im krassen Kontrast zum sanften Brummeln der Zither und dem aufgeräumten Rhythmus aus dem Schlagzeug. Allenfalls die eine oder andere Schräge aus den obersten Tonlagen der Trompete kratzt wie ein Nagel auf der Schiefertafel durchs klangliche Wohlgefallen.

So erschaffen Dauhrer, Kuthan und Cipolla sehr subtile Spielarten musikalischen Humors. Geben die drei Musiker zum Beispiel den Rachegedanken betrogener Frauen eine Melodie, die mit dem Schauferl aus dem Tascherl kleine, aber furchtbar stinkende "Hundstrümmerl" in die Lüftungsschlitze der Luxuskarre vom Ex versenken, dann begleitet eine so schwerelose und liebliche Melodei dieses anarchische Szenario, als rollte ein pinkfarbenes Cabrio mit einer grinsenden Christiane Hörbiger durchs Waldviertel. Oder sie versetzen Reinhard Fendrichs "Zwischen eins und vier" mit einer so satten Dosis süßlichen Gifts, dass sich sogar das morbide Wien daran verschlucken würde.

Es zeigt sich im Verlauf des Abends, dass Begriffe wie Konzert oder Kleinkunst dem Angebot des Trios nicht gerecht werden. So, wie ein echtes "Beisl" eben nicht einfach eine Wirtschaft oder eine Kneipe ist, sondern ein sich dauerhaft wandelndes Labor für die mannigfaltigen Aggregatszustände des Gemüts. Die Musik macht den Lebenston: Von mitleidsloser Melancholie bedrückt, quälen sich Falcos "Junge Römer" durch die verlogenen Reize des Lebens. Darauf folgen, übergangslos, spöttisch-herausfordernde Tänze, mit denen die unterdrückten Völker aus dem Osten der k. und k. Monarchie ihren Widerstand feiern.

Kulturgeschichte in musikalischen Andeutungen, Esprit in so feinen Dosen, dass nur wirklich wache Sinne angeregt werden: "Im Glitzerbeisl gibt's leichtes Amusement, aber auch Dinge, in denen man sich suhlen kann", murmelt es da von der Bühne ins Publikum, ergänzt durch das frivole Versprechen: "Es geht immer noch eine Etage tiefer." Darum bleibt dann sogar bei einem Lied über den Leuchtturm in der Nacht die Seele des Gesangs so finster wie ein Großer Schwarzer. Darum ist aber auch beim Mitsing-Appell ans Publikum beim "Deppdeppdepp dudeppada Depp. . ." endlos Raum für die Anarchisten unter den Herausgeforderten, die Ansager Dauhrer ein ums andere Mal die Pointe verhageln.

Das sind die Momente, wo das Glitzerbeisl wirklich zum Raumschiff wird, schneller als das Licht durch das Universum der Fantasie düsend und dabei Abgründe von der Qualität schwarzer Löcher touchierend. Während uns der grenzenlos amüsierte "Käpt'n Kuthan" mit seinem Goldzahnlächeln zum Genuss abgründiger Gedanken einlädt, können wir uns nur zu gut den Dialog auf der Raumschiff-Brücke vorstellen. Pille: "Sie sind kuschelig weich und machen wundervolle Geräusche. . ." Spock: "Das tut eine mit Hermelin überzogene Geige auch - und trotzdem würde ich mir keine kaufen." Warp zehn beim Applaus.

© SZ vom 01.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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