Im Alten Kino:Jenseits der Zeit

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Horst Evers, hier bei einem Auftritt 2019 in Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Horst Evers beweist mit seinen klug-absurden Gedankengängen, dass Kabarett keine Hektik braucht

Von Anja Blum, Ebersberg

Horst Evers lässt sich Zeit. Ganz unaufgeregt erzählt er, von sich, vom Älterwerden, und breitet dabei allerhand absurde Begegnungen aus. Von der Hektik, die andere Kabarettisten schnell sprechend und wild gestikulierend verbreiten, ist Evers meilenweit entfernt. Er braucht kein Spektakel der Form, denn seine Inhalte tragen. Und mit dieser Gelassenheit setzt er genau das um, was er in seiner Analyse der modernen Gesellschaft postuliert: Zwar lebten wir in furchtbar komfortablen Zeiten, dem technischen Fortschritt sei Dank, doch absurder Weise verursache das unaufhörliche Durchgetaktetsein, die ständige Vermessung des Alltags enormen Stress. "Wir brauchen immer wieder auch mal Räume, in denen das Verrinnen der Zeit keine Rolle spielt", sagt Evers - und schafft mit seinem Abend im Ebersberger Alten Kino genau einen solchen.

Alternativ empfiehlt der Kabarettist aus Berlin einen Besuch beim Facharzt - ohne Termin: Der Stapel an Flyern von Lieferdiensten im Wartezimmer des Hautarztes jedenfalls lässt tief blicken. Allerdings, verrät der Doktor, müsse man nur Pizza Piccante beim guten Italiener nebenan bestellen, dann komme man ganz schnell dran. "Die mögen die Sprechstundenhilfen nämlich sehr, sehr gerne."

Wer nun aber meint, Evers habe vor allem gute Tipps auf Lager, der irrt. Sein Programm heißt "Früher war ich älter", und was dieses Paradoxon bedeuten soll, ist schnell erklärt: Es trifft den Nagel auf den Punkt, wenn man davon ausgeht, dass sich dem Menschen die Welt mit zunehmender Erfahrung immer mehr erschließt. Weil er momentan aber "irgendwie den Faden verloren habe, alles nicht mehr so logisch" sei, habe er das Gefühl, früher schon einmal älter respektive klüger gewesen zu sein, so der 53-jährige Evers. Die "Hybris im öffentlichen Diskurs", die intellektuelle Emigration, sei aber auch keine Lösung: "Ich denke nur noch das, was ich auch verstehe? - Das ist meist nicht viel." Zum Schluss erzählt er von einem Mann, der mitten in der Nacht die "Alexa" seiner Nachbarn aktiviert habe, nur um dann wegen Ruhestörung die Polizei zu rufen. "Ich finde, das beschreibt unsere Zeit ziemlich gut."

Zur Hochform aber läuft Evers auf, wenn er anfängt, alles infrage zu stellen, alles von Null zu denken. Denn das Ergebnis sind dann völlig verquere Interpretationen der Wirklichkeit, herrlich absurde Nischen, in denen es sich gedanklich wunderbar einrichten lässt. Verspätungen bei der Bahn? Sind doch kein Ärgernis, sondern Gratisfahrzeit, die einem eigentlich gar nicht zusteht! Und zwischen Berlin, Frankfurt und Stuttgart sieht Evers einen Wettbewerb der Superbaustellen: Die Herausforderung sei, derart langsam zu bauen, dass man es mit dem bloßen Auge gar nicht sehen könne. Die von der Elbphilharmonie, ja, die hätten schon komplett abgelosed, "die haben einfach die Nerven verloren!" Doch der Bahnhof im Schwäbischen mache dem Flughafen ernsthaft Konkurrenz: "Da steckt echt ein Plan dahinter, ein riesiges Loch, mitten in der Stadt, schon vier Mal den Etat pulverisiert, und von einem Termin keine Spur. Respekt!"

Oder das Thema Bewegung, im Alter ja wichtiger denn je: Er würde unglaublich gerne Sport treiben, sagt Evers, "nur leider mein Körper nicht. Und der sitzt am längeren Hebel". Die einzige Disziplin, die für ihn infrage käme, wäre das Rennrodeln, denn "im Liegen bin konditionell sehr stark!" Auf eine Olympiamedaille verzichte er trotzdem - aus rein ästhetischen Gründen. Am Ende einer, wenn nicht der absurdesten Geschichte torkelt der orientierungslose Evers, abgefüllt von verzweifelten Bauarbeitern, dann doch im Rodelanzug die Straße lang, bis er von einem Auto, dessen Alarm er aus Versehen ausgelöst hat, in ein Gespräch verwickelt wird...

Selbst aus der Pausenansage oder dem Buchverkauf zaubert Evers Feuerwerke des Grotesken. Das Medium Buch preist er als hochmoderne Technik: mit hervorragender Grafikkarte und Rechnerleistung - "zack, schon da, zack, schon da", sagt er blätternd - und die Akkuleistung sei schier endlos. "Das hab ich noch nie aufgeladen", sagt Evers, das Leseband alias "Kabel" zwischen den Fingern. All diese Pointen trägt der 53-Jährige mit unbewegter Miene vor, nur ab und an übermannt es ihn, dann kichert er stumm in sich hinein.

Und das Ebersberger Publikum? Das tut es dem Künstler gleich: keine Ekstase, sondern bestes Amüsement, leise und fein. Man hört Evers teils verwinkelten, verrückten, immer klugen Gedankengängen einfach sehr gerne zu. Und das ist verdammt viel wert.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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