Hochgenuss beim Kulturverein Zorneding-Baldham:Zerrissenheit oder Erlösung?

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Bestleistung fürs Hier und Heute: Das "Vogler Quartett" hinterlässt beim Konzert im Zornedinger Martinstadl einen bleibenden Eindruck. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das "Vogler Quartett" erschließt beim Konzert im Martinstadl verblüffende Zugänge zu Beethovens Kompositionen

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Mit einer magischen halben Stunde hat am Sonntagabend das Konzert im Martinstadl begonnen. Ludwig van Beethovens Streichquartett op 18 Nr. 1 hatte das Vogler Quartett ausgewählt, um seinen Beitrag zum diesjährigen Kammermusikzyklus des Kulturvereins Zorneding-Baldham zu eröffnen - und zeigte einen ebenso selbstbewussten wie bewegenden Umgang mit den fein austarierten Rhythmen des viersätzigen Werks. Wie die vier Streicher die Gedanken des jungen Komponisten im Spannungsfeld zwischen Bewahren von Tradition und Aufbruch ins eigene Universum in Musik verwandelten, das hatte einen Hauch von Ewigkeit. Wer das Stück bei anderer Gelegenheit wiederhört, wird die Eindrücke dann an den Erinnerungen an diese Aufführung messen.

Dann erhob sich Tim Vogler am ersten Pult. Nicht, um eine Begrüßungsrede zu halten, sondern um das Publikum im gut gefüllten Saal auf das nächste Stück einzustimmen. Denn eingebettet zwischen zwei Beethoven-Werke fand sich im Programm das Streichquartett Nr. 5 von Grigori Frid, entstanden 1977 zum 150. Todestag Beethovens. Geiger Vogler sprach dabei die Rolle von Komponisten an, die in der Geschichte und Aufführungspraxis tief im Schatten der großen Namen standen und stehen, um ihre Bedeutung für das Verständnis musikalischer Epochen und Kulturen zu verdeutlichen. Gemeinsam mit Frank Reinecke (Violine), Stefan Fehlandt (Viola) und Stephan Forck (Violoncello) spielte er dann Töne und Takte aus jenen Werken Beethovens an, die Frid in seinem Quartett zitiert und eingewoben hatte. Wenige Minuten nur dauerte diese Einführung, die den Rahmen eines herkömmlichen Konzerts sprengte - doch sie waren von unschätzbarem Wert, um zu erkennen und zu begreifen, was dann folgte: ein Stück, das eine Sprache findet für das Verbindende zwischen Beethoven und Strawinsky oder Schönberg. Dank dieser Hinleitung war das Publikum auf Verstehen eingestellt, statt auf Verstörtheit.

Als hätte Frid es darauf angelegt, einen Auszug aus den Gedanken Beethovens beim Komponieren aufzuzeichnen, zeigte das in einem Satz durchgespielte Quartett eine bisweilen düstere, gelegentlich verärgerte, durchgängig introvertierte Sicht, ausgereizt bis an die Bruchstelle der Spannungsbögen, mit einem Schluss, an dem die Seele zu zerreißen droht. Die höchsten Töne, die sich am Ende im Raum verlieren - waren sie nun kratzende Nadeln oder flirrende Kristalle? Waren sie Ausdruck der Zerrissenheit, oder der Erlösung? Einen Hinweis darauf gaben die vier Musiker nach der Pause beim cis-Moll-Quartett op. 131, zu dessen Beginn das Echo dieser Töne in den Konzertraum zurückkehrte. Das Adagio setzte auf der gleichen Ebene ein, in der sich der abschließende Gedanke Frids, Fragezeichen hinterlassend, auf dem Weg ins Bewusstsein verabschiedet hatte. Es war verblüffend, wie es dem Quartett nach 20 Minuten Sekt, Orangensaft, Smalltalk und Zigarette vor der Tür gelang, sein Publikum wieder hereinzuholen in die musikalische Hirnkammer, deren Tür die Streicher nicht verschlossen, sondern sperrangelweit offen gelassen hatten, ohne dies groß anzukündigen.

Solche Schlüssigkeit ist im Programmheft leicht hingeschrieben. In den lebendigen Momenten einer Aufführung fordert sie ein musikalisches Verständnis, ja eine Lebensweise, die sich einer eigenen musikalischen Sprache bedient. Man braucht über die Qualität des Vogler Quartetts nicht viele Worte zu machen; sie, die seit 1986 in unveränderter Besetzung zusammenspielen, haben ihr Können Mal um Mal unter Beweis gestellt. Dass sie mit ihrer Präsenz, mit blindem Verständnis füreinander und dem einfühlsamen Umgang mit ihren Instrumenten aber glaubwürdig den Eindruck hinterlassen, dass sie genau fürs Hier und Heute ihre Bestleistung abrufen - das verdient höchste Anerkennung. Was bei ihrem Konzert in Zorneding uneingeschränkten Respekt nicht nur fürs Spielen weckt, sondern fürs Kommunizieren, ist die beispiellose Homogenität ihres Auftritts. Fehlandt und Forck lassen Viola und Violoncello fast hautnah heranrücken, um sich dann, von der gemeinsamen Energie getragen, scheinbar federleicht zu lösen, wenn Beethoven ihnen das Signal dafür gibt. Vogler und Reinecke, die beiden Violinisten wiederum, erweisen sich als ebenso feingeistige wie beherzte Klangbildhauer an den imaginären Skulpturen, die uns Beethoven hinterlassen hat. So gerät der Abend zu einer durch und durch überzeugenden Interpretation des Begriffes "Komposition", für die das Publikum ausdauernden und intensiven Applaus als Antwort hat.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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