Nachruf:Lehrerin mit Leib und Seele

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Hildegard Lösch ist tot. Die Grafingerin wurde 100 Jahre alt

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Als Hildegard Lösch im Jahr 1946 als eine von drei Lehrerinnen an der Grafinger Oberschule ihren Dienst begann, hatte sie ihre Ausbildung noch nicht einmal beendet. Es war alles etwas provisorisch in jener Zeit, als München nach dem Krieg in Schutt und Asche lag. Die Schule, die erst in den 1960er Jahren zum Gymnasium Grafing wurde, war in zwei "unfreundlichen Räumen im Ostflügel der alten Grafinger Turnhalle untergebracht", schrieb Lösch viel später in einer Festschrift zum 50. Geburtstag des Gymnasiums. Als Augenzeugin jener bescheidenen Anfänge berichtete sie aber auch von einer großen Aufbruchsstimmung, welche die noch kleine Schulfamilie - und auch sie, die damals 25-Jährige - getragen habe.

Lösch wurde 1921 in Gilgenberg bei Burghausen geboren. Nach der Annexion Österreichs durch Hitlerdeutschland ging sie nach Augsburg und besuchte dort das Internat der Englischen Fräulein. Mitten im Krieg machte sie ihr Abitur. Lehrerin hatte sie immer schon werden wollen, also studierte sie nach Ableistung ihres Arbeitsdienstes in München fürs Lehramt: Latein, Deutsch und Geschichte. Kurz vor seinem Ende musste sie ihr Studium allerdings abbrechen: Ihr Bruder war 1944 im Krieg gefallen, die junge Hildegard kehrte nach Hause, zu ihrer Mutter, zurück. Während sie dann, zwei Jahre später, schon mitten im Unterricht stand, holte sie die fehlenden Examina nach. "Es war eine harte Zeit", so das Resümee der knapp 95-Jährigen in einem Interview zu ihrem damaligen Geburtstag. "Aber wir haben es sehr gerne gemacht, vor allem für die Kinder."

Lösch war für Grafing eine Institution. "Mutti Lösch" wurde sie liebevoll genannt, es war eine prägende Zeit, in der sie die Verantwortung übernahm. Gemeinsam mit den Schülern, von denen die Hälfte Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen und Oberitalien waren, zogen sie und die anderen Lehrer bald von der Turnhalle in die Alte Villa an der Wasserburger Straße um - in eine dann doch deutlich schönere Umgebung. Leicht war das Unterrichten dennoch nicht, die Klassen waren groß, die vielen Flüchtlinge mussten integriert werden, was Hildegard Lösch mit großem Engagement betrieb. Verständnis und Toleranz haben sie ihr Leben lang begleitet, so hatte sie, den Zeilen eines in Salzburg lebenden Neffen zufolge auch angesichts des Flüchtlingsgeschehens 2015 oder beim Rückzug der Nato aus Afghanistan 2021 und der folgenden Machtübernahme durch die Taliban noch "Flagge gezeigt".

Dass damals in jenen Nachkriegszeiten nicht nur die Integration sondern auch der Unterricht trotz fehlender Schulbücher funktionierte, zeigt sich sicher daran, dass der Kontakt zwischen der Lehrerin und ihren Schülern bis in die jüngste Zeit hinein nicht abriss. Hildegard Lösch hielt den Kontakt zu vielen von ihnen auch noch, als sie die Schule in Grafing verließ, um in München zu unterrichten. Bis ins hohe Alter hinein ließ sie sich regelmäßig bei Klassentreffen ihrer ehemaligen Schüler sehen. Zu ihrem 95. Geburtstag wurde sie mit einem selbst gestalteten Kalender beschenkt, jede Seite von einer anderen Schülerin. Eine von ihnen, Christine Ferche, hatte es so ausgedrückt: "Auch wenn wir Schüler uns nach dem Realschulabschluss in alle Winde bis in die USA zerstreut haben, wir fühlen uns alle immer mit Grafing verbunden. Und unsere ,Mutti' gehört einfach dazu."

Hildegard Lösch ist am 18. Mai friedlich im Senioren-Wohnen Bad Reichenhall Marienheim gestorben. Im August wäre sie 101 Jahre alt geworden.

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