"Harmonie ist das Wichtigste":Das Gesicht der Iris

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Die Ikebana-Meisterin Ingrid Eichinger aus Baldham beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der japanischen Kunst des Blumensteckens. Vor der großen Ausstellung in der Volkshochschule üben ihren Schüler fleißig

Von Jessica Schober, Vaterstetten

Astern, Dahlien und Purpurglöckchen stehen in einem wassergefüllten Schälchen, sie recken ihre Blütenköpfe in alle Himmelsrichtungen. Was kann man da schon groß falsch machen, wenn die Blumen selbst doch eh ganz hübsch sind?, fragt sich womöglich der Laie. Doch in diesem Baldhamer Keller gibt es strenge Regeln, wie Pflanzen arrangiert werden. Denn hier unterrichtet die Meisterin Ingrid Eichinger sechs Schüler in der Kunst des Ikebana. Das ist japanisch und bedeutet: die Pflanze in ihrer Schönheit sichtbar machen. Und dass diese Kunstform weit über Floristik und praktisches Blumenbinden hinausgeht, dürfte spätestens klar sein, nachdem Eichinger zur Begrüßung ein Haiku, ein dreizeiliges Kurzgedicht mit Jahreszeitenbezug, vorgelesen hat. Hier geht es um tiefe Kontemplation und Harmonie.

Wo das Gesicht der Iris zu finden ist, zeigt Ikebana-Meisterin Ingrid Eichinger ihrer Schülerin Karin Elbe-Heimann. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Wer Eichinger in ihrem Seminarraum besucht, durchschreitet zunächst einen beeindruckenden japanischen Garten mit plätscherndem Teich und wogendem Zebragras. Unter einem kleinen Vordach arbeitet Ingrid Eichinger seit Tagen an einem Ikebana-Gesteck aus Kiefernstämmen. Das Stämmchen in der Mitte ihrer Komposition, eines sogenannten Rikkas, erzählt die Ikebana-Meisterin, soll eine "direkte Antenne zu Gott" darstellen. Immer nach einem Sturm spaziert sie durch den Ebersberger Forst und sammelt schöne Zweige auf, so hat sie eine kleine Sammlung besonders gewachsener Äste im Garten angehäuft.

Kevin Hoffmann übt sich an einem Freestyle-Ikebana, während Marianne Prabst schon 24 Jahre Erfahrung hat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bevor sie wieder zur Pflanzenschere greift, serviert sie ein kleines salziges Gebäck und einen grünen Sencha-Tee - sie mache den besten grünen Tee überhaupt, raunt eine ihrer Schülerinnen ehrfurchtsvoll. Überhaupt ist Ikebana für Außenstehende vielleicht am ehesten mit einer Teezeremonie zu vergleichen, bei der Handgriffe und Zutaten reduziert sind und zugleich nach Idealmaß streben. "Es geht beim Ikebana nicht nur um das vordergründige Blumenstecken", sagt Eichinger, "Es geht um die Schönheit der Pflanzen, die Konzentration auf das Wesentliche und die Ruhe."

Ikebana ist japanisch und bedeutet: Die Pflanze in ihrer Schönheit sichtbar machen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mal filigran und schlicht, mal opulent und verspielt wirken die Pflanzengestecke im Kellerraum, den man durch einen Noren, einen Leinenvorhang mit Zen-Kreis darauf, betritt. Unter dem Licht einer holzumrahmten Pergamentleuchte konzentrieren sich die Schüler auf ihre Ikebana. Jede Komposition folgt strengen Regeln. Ihnen zu gehorchen, erfordert Demut. Zwei Stunden lang friemeln die Schüler ihre selbst mitgebrachten Stängel in einen Steck-Igel - bloß damit Eichinger dann ruft: "Jetzt schreiten wir zur Korrektur", und die Kleinkunstwerke wieder auseinanderrupft und neu komponiert. Doch gerade durch diese gemeinsame Besprechung der Werke lernten die Teilnehmenden am meisten, meint Eichinger.

Mal filigran und schlicht, mal opulent und verspielt wirken die Pflanzengestecke im Kellerraum. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Die Blumen beruhigen, sie haben etwas Meditatives und man kommt komplett aus dem Alltag raus - bis die Korrektur einen kurzen Augenblick der Verzweiflung herbeiführt", erzählt Karin Elbe-Heimann, eine Vaterstettenerin, die beruflich viel in Japan zu tun hatte. Andere im Kurs sind seit Grundschultagen Japanfans oder haben Aufenthalte in einem Schweigekloster hinter sich.

Eichinger selbst, graue asymmetrische Kurzhaarfrisur, weiße Leinenbluse und silberne Turnschuhe, gehört zu den Koryphäen auf ihrem Gebiet. Seit 25 Jahren leite sie ihre eigene Ikebanaschule in Baldham, seit 30 Jahren unterrichtet sie an der Volkshochschule Vaterstetten und seit nun mehr 40 Jahren beschäftigt sie sich selbst mit der Kunst des Blumensteckens. Bereits in ihrem Elternhaus im rheinland-pfälzischen Oberwesel beobachtete sie ihre Mutter, wie diese - inspiriert von einer Wohnzeitschrift - einzelne Zweige in eine Vase stellte und sich dafür noch von Besuchern belächeln lassen musste. Nach Lebensstationen in Paris und London besuchte Eichinger schließlich selbst einen Ikebana-Kurs in Deutschland und traf dort ihre Meisterin Shusui Pointner-Komoda. Sie reiste selbst nach Japan, bildete sich weiter. Heute ist Eichinger Ikebana-Professorin im sogenannten dritten Grad "Sokakyo" und war 17 Jahre lang Vizepräsidentin der deutschen Ikenobo-Ikebana-Gesellschaft.

"Wo ist jetzt das Gesicht der Iris?", fragt die Meisterin und deutet auf die blau-violetten Blüten einer Pflanze. Ratlose Gesichter in der Runde, so richtig haben noch nicht alle verstanden, wo genau in der Iris jetzt ein Antlitz zu vermuten ist. Halb so wild, man lerne viele der genauen Vorgaben, wie die speziellen Regeln für Anthurien, erst mit der Zeit, sagt Eichinger. Das Wichtigste sei die Harmonie. Nur beim Schneiden der Gräser ist Eichinger wieder streng und macht vor, wie die neue Blattform möglichst natürlich gelingt. "Bloß keine Hasenohren in Blätter schneiden, so etwas machen nur die Floristen!"

Ikebana-Ausstellung in der VHS Vaterstetten, Baldhamer Straße 39: Zur Vernissage am Donnerstag, 11. Oktober, um 19 Uhr gibt es eine musikalische Umrahmung von Sopran Yoshiko Nitta und Peter Jermer an der Gitarre. Zu sehen ist die Schau dann drei Tage lang von Freitag, 12., bis Sonntag 14. Oktober, 10 bis 19 Uhr. Probeunterricht findet jeweils von 11 bis 13 Uhr und von 15 bis 17 Uhr, sonntagnachmittags jedoch von 14 bis 16 Uhr statt. Führungen werden am Freitag, 12. Oktober, um 17 Uhr und am Samstag, 13. Oktober, um 14 Uhr angeboten. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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