Gut Immling:Arien zwischen Roben und Rössern

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Die Festspiele auf Gut Immling überzeugen mit fantastischen Darbietungen. Alles in der authentischen Atmosphäre des abgelegenen Gnadenhofs.

Von Valentina Antonucci

Ihre soeben zum Besten gegebene Arie noch auf den Lippen, trippelt eine elegant gekleidete Opernsängerin übers Gelände auf die Toilette. Im Hintergrund ein umwerfender Sonnenuntergang. Im Gegenlicht stolziert ein schwarzer Kater auf einem Geländer und lässt sich dabei von den Besuchern bewundern. Plötzlich ertönt das Läuten einer alten Kuhglocke - das Zeichen für die Besucher: die Pause ist vorbei, schnell zurück in die Konzerthalle.

Wer diese Aussicht samt Sonnenuntergang genießen will, muss einen Shuttlebus nehmen. (Foto: Veranstalter/oh)

Hier, bei den Festspielen auf Gut Immling, treffen Kultur und Natur aufeinander wie sonst wohl fast nirgendwo. Es ist, als wollten Schauspiel aus Menschenhand und göttliche Schöpfung um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen. Der Gockel kräht mit dem Tenor um die Wette, der Pfau stiehlt so manch herausgeputzter Besucherin die Schau, und der Duft von Parfum vermischt sich mit dem der Pferde.

Der Veranstaltungsort, ein beschauliches Anwesen im Landkreis Rosenheim, befindet sich weit abgelegen von der nächsten Ortschaft, so dass die Besucher nur mit Shuttlebussen auf schmalen Waldwegen hinauf zum Ort des Geschehens gelangen. Oben angekommen bietet sich ein kontrastreiches Schauspiel: die friedliche Koexistenz von Gnaden- und Reithof neben einem Festspielhaus vor traumhafter Kulisse.

Intendant Ludwig Baumann, früher selbst erfolgreicher und weltweit aktiver Bariton, war im Jahr 1994 an der Semper-Oper in Dresden in den Orchestergraben gestürzt- von den Verletzungen hat er sich nie ganz erholt, so dass ihm das Singen einer Partie nicht mehr möglich ist. Seine zweite große Leidenschaft, neben der Oper, sind die Tiere, deswegen baute er auf Gut Immling eine Reithalle und einen Gnadenhof.

Die Leiter von Gut Immling, Cornelia von Kerssenbrock und Ludwig Baumann. (Foto: Veranstalter/oh)

Der Umbau zur Festspielhalle erfolgte erst sehr viel später: 1997 verlegte Baumann eine Open-Air-Aufführung der "Zauberflöte", die er unweit von Gut Immling geplant hatte, wegen schlechten Wetters provisorisch in die Reithalle - und entdeckte dabei deren fantastische Akustik. Letztendlich wichen die Reiter der Oper, erst kürzlich wurde die Halle nochmals umgebaut und ist - sowohl klimatisiert, als auch beheizbar - nun ganzjährig nutzbar. Der Stall befindet sich jedoch nach wie vor nebenan, und auch der Streichelzoo, in welchem früher sogar Lamas untergebracht waren.

Ein Festival für Opern-Einsteiger

Ein stilvolles Zelt wartet auf die Besucher. (Foto: Veranstalter/oh)

Weiterentwickelt hat sich im Laufe der Jahre aber das Konzept der Festspiele: Es gibt hier nicht nur Opern, Konzerte und Musicals, sondern viele verschiedene Projekte. Neben einer Kinder-Kulturwoche finden spezielle Vorführungen für Menschen mit Handicap statt. "Dies sind stets die schönsten und gefühlvollsten Aufführungen", sagt Baumann.

Darüber hinaus inszeniert Immling seit einigen Jahren "Ba-Rock-Opern", die durch packende Rhythmen und multivisuelle Effekte begeistern. Das Festival eignet sich bestens für Opern-Einsteiger, denn die deutschen Untertitel werden auf mehrere Leinwände projiziert und ermöglichen so ein leichtes Verständnis des Geschehens. Kein Wunder also, dass hier erstaunlich viele Jugendliche und junge Erwachsene anzutreffen sind, die ihren Teil zu der lockeren Atmosphäre auf dem Gut beitragen.

"Dass Kunst und Natur so miteinander verbunden sind, weckt Inspiration und Kraft - besonders auch durch die wunderbaren Tiere", sagt Maryna Zubko, die in der diesjährigen Ba-Rock-Oper die Eurydike darstellt. Diese Nähe zur Natur ist durchgängig spürbar. In den Pausen können die Besucher, eingerahmt von dichtem Wald, den Sonnenuntergang genießen. Ganz selbstverständlich läuft einem dabei das ein oder andere Tier des Gnadenhofs vor die Füße, aber das scheint hier niemanden zu stören. Genauso wenig wie der Stallgeruch, der durch die Menge schick gekleideter Opernbesucher weht.

Gut Immling bietet nicht nur Raum für Musik und Kultur, sondern hat als Gnadenhof auch Platz für Tiere. (Foto: Veranstalter/oh)

Einzigartig ist aber nicht nur das Flair auf Gut Immling, sondern auch die Philosophie der Festspielbetreiber: In diesem abgelegenen Örtchen wird besonders auf Internationalität viel Wert gelegt: Momentan vereint Gut Immling Künstler aus 33 Nationen, die friedlich gemeinsam musizieren - "Make Opera Not War" lautet denn auch das diesjährige Motto. Ein weiteres Anliegen Baumanns und der musikalischen Leiterin Cornelia von Kerssenbrock ist die Förderung von jungen Künstlern, diesen wollen sie eine Plattform bieten. So finden sie ihre Darsteller nicht nur über international beliebte Vorsingen in Bad Endorf, sondern auch über einen eigens ins Leben gerufenen Lions-Gesangswettbewerb - natürlich lassen es sich Baumann und von Kerssenbrock nicht nehmen, Teil der Jury zu sein.

Die drei Hauptdarsteller der Oper "Orpheus und Eurydike", die nun Premiere feierte, sind Finalisten des Gesangswettbewerbs und stellten ihr Können auf der Bühne grandios unter Beweis. Die mittlerweile fünfte Ba-Rock-Oper handelt vom plötzlichen Tod Eurydikes und dem Versuch Orpheus', seine Geliebte aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Seine Trauer wird dabei für das Publikum so greifbar, fast zum eigenen Herzschmerz, dass die gedrückte Stimmung kaum zu ertragen erscheint.

Doch Hoffnung naht: Amor, hier dargestellt als rationaler Psychoanalytiker an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, der die Auswirkungen von Verlusten auf den Menschen erforschen will, wird von Rachel Croah verkörpert. Er verspricht, Eurydike zurückzuholen, wenn Orpheus die Kreaturen der Unterwelt durch seinen Gesang zu bezwingen weiß. Einen Haken gibt es jedoch: Orpheus darf, wenn er auf Eurydike trifft, sie weder ansehen, noch ihr den Grund dafür nennen, da sie sonst erneut stirbt und für immer verloren ist.

Die Reise in das Reich Hades'

Die Reise in das Reich Hades' erweist sich in dieser Inszenierung als der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind: Unheimliche Kreaturen mit weißen Kontaktlinsen bedrängen Orpheus. Totgeglaubte sind auf Krankenbetten aufgebahrt, hinter ihnen Krankenschwestern - alle in weiß gekleidet. Mit überdimensional großen Scheren zerschneiden sie die Lebensfäden Orpheus', die ihn mit der lebendigen Welt verbinden. Unterstützt wird die gespenstische Atmosphäre durch ein sehr grelles, weißes Licht.

Wildes Treiben auf der Bühne: Unheimliche Kreaturen mit weißen Kontaktlinsen. (Foto: Veranstalter/oh)

Im Gegensatz zu dem wilden Treiben auf der Bühne ist die Kulisse sehr schlicht gehalten. Verborgene Drehtüren und Eingänge ermöglichen einen schnellen Umbau. Zudem gibt es Bodenklappen, die ein plötzliches Auftauchen der Darsteller ermöglichen. Wortprojektionen wie "Illusion", "Verblendung" oder "Tortur" verdeutlichen Orpheus' seelischen Zustand.

Beim Eintritt des Helden in die Unterwelt wird ein Strudel mit dem immer gleichen Bild Eurydikes gezeigt, das sich unheimlich verzerrt und einen immer weiter in die Tiefe führt. Als Orpheus Amors Prüfung nicht besteht, kämpft der eine oder andere Zuschauer mit den Tränen, zu ergreifend ist Orpheus' Entschluss, sich das Leben zu nehmen, um auf ewig mit seiner Geliebten vereint sein zu können. Doch Amor, durch diesen Akt der Liebe mehr als beeindruckt, hält ihn zurück - und schenkt Eurydike das Leben.

In der nächsten Szene wird Orpheus aus dem Klinikum entlassen, auf der Leinwand prangt "Diagnose: geheilt". Das regt zum Nachdenken an: Sind die Szenen in der Unterwelt bloß ein Sinnbild für Orpheus' Seelenleben? Eines jedoch ist völlig klar: Die Leistungen der Darsteller, des Orchesters und des Festivalchors sind absolut hervorragend. Dem Ensemble von Immling gelingt es, die Klaviatur der Emotionen derart sicher und intensiv zu bespielen, dass das Publikum komplett in ihren Bann gezogen ist.

Bei der Après Opera hebt Intendant Baumann aus der Schar der "ausgesprochen talentierten Sänger" Maryna Zubko hervor: Was für ein Glück, ruft er aus, dass sie auch Konzertpianistin sei. Bei der aktuellen Oper tritt Zubko als klavierspielende Eurydike auf. Doch auch Modestas Sedlevičius (Orpheus) wird vom Intendanten gelobt: Er singe seine Arien mit klarer, kraftvoller Stimme - selbst gekrümmt am Boden liegend. Die Après Opera findet in einem stimmungsvoll beleuchteten Zirkuszelt statt. Hier können die Besucher bei Buffet und Getränken nochmals die Sänger erleben - aber von einer anderen Seite, denn sie geben hier jeweils mehrere Arien am Stück zum Besten. Nach jedem Gesangsblock ermöglicht ein Shuttlebus die Heimfahrt.

Doch so schnell will keiner zurück in den Alltag, viel zu schön ist das Beisammensein, bei welchem sich die Darsteller ausgelassen unter das Besuchervolk mischen und die Grenze zwischen Künstlern und Gästen immer mehr verwischt. Dieser gesellige Ausklang kann dann schon einmal bis in die frühen Morgenstunden dauern. "Gestern haben wir hier bis um halb drei morgens ausgehalten, mal schauen, wie lange wir es heute schaffen", sagt Baumann. Im Hintergrund ist immer wieder das Wiehern der Pferde zu hören.

Und wer weiß, vielleicht kann man den Intendanten schon am nächsten Morgen mit Gummistiefeln im Stall antreffen. Wer nun Lust auf einen Opernbesuch in idyllischer Umgebung bekommen hat, kann dieser noch bis zum 13. August nachgeben. Infos und Tickets unter www.gut-immling.de.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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