Grafing:Wie Fische im Wasser

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Martin Zenker & Friends füllen den "Jazz im Turm" mit elementarer Kunst und mitreißendem Spiel. Der Spielort Grafing zieht inzwischen längst nicht mehr nur Fans aus der Region an

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

"Jazz im Turm" hat sich weit über Grafing hinaus einen Namen gemacht. Man erkennt das leicht an den Kennzeichen der Autos auf dem Parkplatz. Da hat sich ein Spielort entwickelt, der sich nachdrücklich in den Adressbüchern der deutschen Jazz-Landschaft verankert hat. Wenn dann auch noch eine Größe wie Martin Zenker als Headliner auf dem Programmzettel steht, füllt sich sogar die ganze Stadthalle, die an diesem Abend als Ausweichquartier für die "Baustelle Turmstube" dient.

Der Kirchseeoner, der vor drei Jahrzehnten nebenan aufs Gymnasium ging, hat seinen Bruder Stefan und vier weitere Musiker mitgebracht, mit denen ihn eine gemeinsame Spiel- und Entwicklungszeit in der Mongolei verbindet. Da ist das fachkundige Publikum erwartungsfroh gespannt, nicht wenige haben die eigenen Instrumente mitgebracht, um nach dem ersten Set in die traditionelle Jam-Session einzusteigen. Es knistert im Raum, Vorfreude flammt wie Sankt-Elms-Feuer über den Anwesenden. Die spielerische Leichtigkeit, mit der die sechs auf der Bühne diese Spannung auflösen und in Energie verwandeln, zeugt von ihrem Selbstverständnis, genauso aber von ihrer Leidenschaft für das Genre Jazz. Das ist ihre Muttersprache, keine erlernte Fremdsprache für sie; die spielen so, wie sie denken und fühlen. Einzelne Titel werden zur Nebensache, die Musik ergibt sich von selbst. Dieser erste Eindruck verfestigt sich im Lauf des Abends immer mehr. Vor allem eines trägt dazu bei: Martin Zenker färbt ab auf alle, die um ihn herum Musik machen. Mit seinem Bass ist er der magnetische Pol, von dem alle Energie ausgeht. Wie ihm das gelingt? Er ist einer jener unaufgeregten, fast schon stoisch aus der Masse herausragenden Musiker, die ihr Instrument so selbstverständlich in den Vordergrund spielen, dass es scheint, als lösten sich daraus die Töne und Melodien von selbst.

Paul Brändle, Martin Zenker, Enkhjargal Erkhembayar, Rick Hollander und Stefan Zenker (von links) sind allesamt hervorragende Solisten, stellen aber die Musik selbst in den Vordergrund und beweisen, wie modern Standards sein können. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Allein die schiere Anwesenheit einer Gitarre, eines Basses, eines Saxofons lässt sie klingen, macht uns ihre Botschaft hörbar. Ihre Spieler sind Diener, nicht Herrscher. Die "Friends" um Zenker haben diesen Stil erkennbar verinnerlicht - wohl gerade "wir gar keine Zeit hatten, miteinander zu proben" - und so entsteht ein körperloses Spiel, ein freies Fließen in Raum und Zeit, in dem sich die Musiker und die Zuhörer fühlen wie Fische im Wasser. Der Jazz an diesem Abend ist elementar.

Das beste Beispiel dafür ist Enkhjargal Erkhembayar, genannt "Enji", die sich im ersten Set zu den Instrumentalisten auf die Bühne gesellt, um für die Dauer von drei Titeln dem Konzert eine fünfte Dimension hinzuzufügen - ihre Stimme. Über ihren schwerelosen, lebensfrohen Alt wird die junge Mongolin unmittelbar zur tonangebenden Kraft im Ensemble, wenige Takte genügen, um Mauern einzureißen und Schlösser zu bauen. Wie sie ihr "How High the Moon" singt, wird jedem im Saal klar: Das ist keine, die nach den Sternen greift. Sie ist selbst einer.

Wenn sie's denn wollten, dürften das aber auch alle anderen in der Band für sich in Anspruch nehmen. Bastien Rieser zeigt sich als Trompeter von so außerordentlicher Brillanz und Inspiration, dass man sich nicht wundert, wo er das mit seinen 22 Jahren hernimmt, sondern sich nur noch darüber freuen mag, dass man ihm demnach noch jahrzehntelang zuhören darf. Lukas Diller am Alt-Saxofon wiederum zeigt eine Eleganz, die ans Understatement grenzt, gleichwohl die Stimme seines Instruments zu bezwingender Schönheit führt und einen Standard fürs Klangbild des Ensembles definiert, den der später einsteigende Stefan Zenker kongenial aufgreift und variiert. Gitarrist Paul Brändle bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen einfühlsamer Begleitung und akzentuiertem Solo, ein Tänzer auf den Saiten und ein geradliniger Scout durchs Mehrdimensionale. Im Dialog mit Zenkers Bass gelingen ihm berauschende speed datings, die gelegentlich zur ménage à trois variieren, wenn Rick Hollander an den Drums seine markanten Statements abgibt. So aufregend ist Jazz, so modern können Standards sein.

Was diesen Abend in Erinnerung bleiben lässt, ist der respektvolle Umgang der Musiker mit der Musik. Da drängt sich keiner in den Vordergrund, da bleibt jedem Solo die Selbstdarstellung des Solisten erspart. Selbst in den markantesten Passagen bleiben für selektiv Hörende die Melodien der anderen Instrumente bis in Nuancen hinein hörbar - wie man aus einem guten Wein die Lage und den Jahrgang herausschmeckt. Nur dass einem hier der Genuss nicht auf der Zunge zergeht, sondern im Ohr. "Zenker & Friends" liefern an diesem Abend in Grafing ein mitreißendes Beispiel für die Klasse des Jazz in Grafing, die anschließende Jam-Session belegt das nachdrücklich. Andernorts mag es Weinkeller mit zugkräftigem Namen geben. Am Urtelbach gedeiht ein prächtiger Weinberg.

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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