Grafing:Wahnsinnig komisch

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Ins Irrenhaus entführt die Theatergruppe des Grafinger Gymnasiums ihr Publikum mit 20 absurden Szenen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Theatergruppe des Gymnsaiums Grafing lädt ein ins Irrenhaus und macht das Publikum verrückt

Von Jessica Morof, Grafing

Mitten auf der Bühne legt der Sohn ein Ei. Laut gackernd und mit angewinkelten Armen wackelt er von links nach rechts und pickt auf dem Boden umher. "Mein Sohn denkt, er ist ein Huhn", ruft die besorgte Mutter durchs Telefon dem Arzt zu, der prompt vor der Tür steht. Doch was er findet, ist: ein ganz normaler, aufrecht stehender Sohn - und seine verrückte Mutter. "Jetzt bringe ich Sie ins Land, wo jeder ein Huhn sein darf", sagt er zu der aufgelösten Frau - und nimmt sie auch gleich mit.

Wer sich manches Mal heimlich denkt, "verrückt sind nur die anderen; ich selbst bin schließlich normal", dürfte von der neuen Theaterproduktion des Grafinger Gymnasiums eines besseren belehrt worden sein. Denn das von der Truppe selbst verfasste Stück "Im Irrenhaus" ließ alle Grenzen zwischen Sinn und Wahnsinn verschwimmen: In 20 kurzen Szenen trieben die Schüler der Theatergruppe den ganz normalen Alltagsirrsinn genüsslich auf die Spitze.

Wie nah die Menschen dem Wahnsinn im eigenen Zuhause sind, zeigte beispielsweise die Szene im Schlafzimmer, in der sich ein Paar ausgiebig anbrüllt, ohne überhaupt zu wissen, weshalb. "Hör endlich auf damit!" schreit er. Worauf sie entgegnet: "Wie soll ich damit aufhören, wenn ich gar nicht weiß, dass ich es tue?"

Auch die verschiedenen Szenen einer Arztpraxis gaben skurrile Alltagserfahrungen überspitzt wieder: Eine Frau geht mit ihrem greisen Vater wegen seines entzündeten Zehs zum Arzt. "Wegsprengen", sagt der und zückt einen Silvesterkracher aus der Tasche. Damit heilt er den Alten zwar nicht vom verletzten Fuß, dafür aber von seiner jahrelangen Stummheit. Die Tochter ist glückselig.

Ein anderer Patient kennt plötzlich den Unterschied nicht mehr. Welchen Unterschied? Jeden Unterschied. "Wenn ich hüpfe, bin ich dann ein Frosch? Und wenn ich nicht hüpfe, bin ich dann ein Frosch, der gerade einmal nicht hüpft?", fragt er die Ärztin. Und wo ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Tisch und einem Nilpferd? Dass der Herr nicht mehr bei Sinnen sein kann, ist wohl jedem Zuschauer klar. Bis sich die Situation plötzlich dreht: Mit der Analyse der richtigen Beinlänge für Tische treibt der Patient seine scheinbar normale Ärztin in den Wahnsinn. Ebenso mit der Erkenntnis, dass seine rote Unterhose mit Gummiband und Riemchen in Wirklichkeit eine Handtasche ist - was ihn folglich zu einer Frau mache. "Nein", schreit seine Ärztin und flüchtet von der Bühne: "Sie haben einfach nur einen Knall!" "Na gut. Aber dann bin ich eine Frau mit Knall", ruft der Patient hinterher und wackelt lasziv mit seiner roten Unterhosen-Tasche.

So stellt sich dem Publikum immer wieder die Frage, welche der Figuren eigentlich irr sind. Vielleicht alle? Oder keine? Oder sind es gar die Zuschauer selbst, die dem Wahnsinn verfallen sind?

Die 20 jungen Schauspieler präsentierten sich auf der Bühne selbstbewusst. Sogar, wenn es galt, recht irrwitzig oder albern dreinzuschauen. Sie zappelten Tourette-gleich über die Bühne, schnitten grausige Grimassen mit verdrehten Augen, gaben sich als betrunkene Unglücksraben. Auch in den lustigsten Szenen, die das Publikum mit Lachen und Johlen belohnte, ließen sich die Schüler nicht aus der Fassung bringen und zeigten sich durchweg textsicher. Eine starke Leistung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Schauspieler beinahe ohne Requisiten und Bühnenbilder auskommen mussten. Den Hintergrund schmückte lediglich eine weiße Leinwand, die von der Rückseite her beleuchtet werden konnte. So wurde zwischen den Szenen das Schattenbild zweier Schülerinnen auf die Bühne gezaubert, die das Schauspiel mit Cello und Geige musikalisch unterstützten. Die Ausstattung beschränkte sich auf einen Tisch, Stühle und weiße Sitzwürfel, welche die Schüler bei Bedarf selbst auf die Bühne trugen. Nur in wenigen Fällen hielten sie Requisiten wie ein Stethoskop, Gläser oder ein Buch in der Hand. Auch die Kostümierung war sparsam: Alle Darsteller waren - so wie es früher in manchen sogenannten Irrenanstalten die Regel war - grau gekleidet.

Eine echte Herausforderung dürften auch die Texte gewesen sein. Absurde Dialoge, hitzige Debatten und rasante Monologe folgten teils Knall auf Fall aufeinander und wickelten dem Zuschauer einen regelrechten Knoten in die Gehirnwindungen. So bei zwei Spionen, die nicht wissen, wer ihr Feind ist, und deshalb in ihrer Codesprache immer das Gegenteil sagen: "Verstanden?" "Ja." "Das ist schade." "Warum ist das schade?" "Du hast es also nicht verstanden." "Doch." "Also nicht." Was bleibt, ist klar: Zumindest wir haben verstanden. Oder?

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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