Grafing:Wach sein, um zu empfangen

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Die Malerin Monika Margret Reisser aus Forstseeon und ihr Pfingstbild in der evangelischen Kirche Grafing. (Foto: Christian Endt)

Das Pfingstbild von Monika Reisser ist bis Ende Juli in der Auferstehungskirche Grafing zu sehen

Von Rita Baedeker, Grafing

Das muss man sich vorstellen: Da sitzen zwölf Freunde beisammen. Plötzlich hören sie ein Brausen, das vom Himmel niederfährt wie ein heftiger Sturm. Das Geräusch erfüllt das ganze Haus. Noch unheimlicher wird die Sache, als plötzlich Zungen wie von Feuer erscheinen. Auf jeden der Männer lässt sich eine nieder. Diese werden mit dem Heiligen Geist erfüllt und beginnen auf einmal, in fremden Sprachen zu reden. Der Bericht vom Pfingstwunder im Neuen Testament liest sich so rätselhaft wie metaphorisch.

In der Kunstgeschichte wird der Geist, der die Apostel erfüllt, werden jene Zungen mal als weiße Taube, dem Symbol des Heiligen Geistes, mal als Strahlen oder Flammen dargestellt. Auf dem Pfingstbild der Malerin Monika M. Reisser aus Forstseeon gleicht der göttliche Geist einem kompakten grellweißen Lichtkegel, der sich, so als stürze er aus dem All herab, oberhalb der blauen Erdkugel in Flammen verwandelt, die in alle Richtungen züngeln. Wie ein Asteroid, der durch die Reibungshitze beim Eintritt in die Erdatmosphäre Feuer fängt, wirkt das Motiv, das anlässlich des Pfingstfestes in der evangelischen Auferstehungskirche in Grafing hängt - zusammen mit einem zweiten Werk: der Auferstehung. Monika Reisser hat in den Jahren von 2009 bis 2012, passend zu den wichtigsten Kirchenfesten des Jahres, einen vierteiligen Zyklus geschaffen: das "Theatrum sacrum". Ihr Pfingstbild ist eines davon. "Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass die göttliche Energie überall ist", sagt die Künstlerin. "Wir sind die Schale, die den Geist auffängt, und wir sind diejenigen, die diese Energie weitergeben."

Schon während ihres Studiums an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien hat Reisser sich mit religiösen Themen beschäftigt, unter anderem auch mit dem Stundenbuch von Rainer Maria Rilke, das sie zu Federzeichnungen inspiriert hat. Die vier Gemälde zu den Kirchenfesten, 1,20 auf 2,20 Meter groß, hat sie auf Leinwände gemalt, die sie von einer Künstlerin geerbt hat. Reisser malt mit eigenen, "seltenen" Pigmenten, wie sie sagt, etwa mit einem satten Ultramarinblau, und mit Acrylfarben. In ihrem Werk wird der Einfluss von Mark Rothko und seiner Farbfeldmalerei deutlich. Anfangs, so berichtet sie, habe sie sich fast nicht getraut, die Leinwand ganz zu bemalen - aus Respekt vor der verstorbenen Kollegin und vor den Spuren, welche auf den Leinwänden noch zu sehen waren.

Das Bild zum Thema Auferstehung bildet einen spannenden Kontrast zum Pfingstmotiv. Es ist geteilt in drei großflächige, klar voneinander abgegrenzte Sphären: Das Reich der Finsternis und des Todes, in dickem Schwarz-Violett, bildet die Basis. Darüber zwei Sphären, die von hellem Gelb in leuchtendes Orange und Rot übergehen. Aus einer viereckigen, sarkophagartigen Form in der Mitte entspringen filigrane, ineinander verflochtene weiße Linien und steigen wie Rauch empor ins warme lebendige Rot. Der leichten Aufwärtsbewegung in diesem Bild steht der sich wie ein machtvoller Himmelskörper herabsenkende Lichtkegel des anderen Gemäldes gegenüber. Als "Geist" will die Malerin die Struktur verstanden wissen, nicht als Materie. "Pfingsten ermahnt uns Menschen, dass wir wach sind und bereit, die geistigen Gaben zu empfangen."

Monika M. Reisser, die ein Diplom für Malerei und Grafik hat, lebt seit 1970 im Landkreis. Ihre Werke wurden unter anderem von der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, dem Museum für Angewandte Kunst und anderen Institutionen gesammelt.

Das Pfingstbild werde bis zum Beginn der Sommerferien in der Kirche bleiben, sagt Reisser. Um das großformatige Gemälde zu zeigen, mussten allerdings die Evangelisten "zugehängt" werden, wie sie lächelnd erklärt. In Anbetracht der Bedeutung der Pfingstbotschaft werden sie es wohl verschmerzen.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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