Grafing:Von Velocipedisten und Equipagen

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Neuer Schwung nach dem Krieg: der Rad- und Kraftfahrerbund "Solidarität" beim Gaujugendtag 1951 in Grafing. (Foto: Archiv der Stadt/oh)

Historiker Bernhard Schäfer erzählt aus der Grafinger Fahrradgeschichte

Von Friedhelm Buchenhorst, Grafing

Das Fahrrad ist bekanntermaßen das vernünftigste Verkehrsmittel überhaupt. Und wie sähe wohl unsere Welt aus, wenn statt des Autos das Fahrrad zum dominierenden Fortbewegungsmittel geworden wäre? Zum 200. Geburtstag desselben hielt Bernhard Schäfer, Leiter des Archivs und Museums der Stadt Grafing, nun im Kastenwirt vor leider nur einem Dutzend Zuhörern einen hoch interessanten Vortrag mit dem Titel "Aus der Grafinger Fahrradgeschichte".

Schäfers akribisches Studium der einschlägigen Quellen ergab, dass bereits 1889 in Grafing ein "Radfahrer-Verein" gegründet wurde, in den, wie aus der handschriftlichen Vereinssatzung hervorgeht, nur "mindestens 18-jährige fahrkundige Herren" gegen Zahlung von einer Mark an den "Säckelmeister" aufgenommen wurden. Durchgesetzt hatte sich hier schon weitgehend das "Niederrad" mit zwei gleich großen Rädern, im Gegensatz zu dem in England entwickelten und nur mit viel Geschick zu fahrenden "Hochrads" mit einem überdimensionalen Vorderrad. Der Ebersberger Anzeiger berichtet 1894, dass ein Hochrad-Fahrer aus Rosenheim in Straußdorf schwer gestürzt sei und sich stark verletzt habe. Der Bewusstlose wurde im nächst gelegen Haus mit kalten Waschungen behandelt. Er redete aber noch lange irre, sagte auch, er wolle im Leben kein Rad mehr fahren. Schließlich wurde er nach Grafing-Bahnhof gebracht - wo er mit der Bahn weiterfuhr.

Zu den ersten Aktivitäten des Grafinger Vereins gehörte der Erlass einer "Fahr-Ordnung". Sie regelte unter anderem, dass vom Radfahrer "das Tempo einer gewöhnlichen Kutsche nicht überschritten werden" dürfe, und bei scheuenden Pferden habe "der Velocipedist sofort abzusteigen". Auch waren "das zu nahe und schnelle Vorfahren, das Umkreisen der Equipagen... und rasches Fahren über Straßenecken" untersagt.

Schon 1892 eröffnet der Münchner Ludwig Hildebrand in Grafing eine "Velociped-Fahrschule", die im Kastenwirt abgehalten wird. Zu kaufen gibt es Fahrräder damals neben Pflügen und Eggen im Maschinengeschäft Anton Noder. In den folgenden Jahren hat sich das Rad als Verkehrsmittel etabliert. Der Verein feiert Standartenweihen, Jubiläen mit öffentlichen Aufzügen und allerlei sportlichen Veranstaltungen. Im Jahr 1928 wird in Grafing - auf Initiative von Kirchseeoner Arbeitern - eine Ortsgruppe des Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbundes "Solidarität" gegründet. Im Gegensatz zum bürgerlich-konservativen "Radfahrer-Verein" wird dieser "sozialistische" Verein allerdings 1933 von den Nationalsozialisten verboten, die Vereinsstandarte im Wert von 300 Reichsmark eingezogen. Der Vorsitzende, Andreas Baumann, ist etwas später, wohl auch in naiver Fehleinschätzung der Bezeichnung "...sozialismus", in die NSDAP eingetreten.

In den Kriegswirren ist freilich auch der "Radfahrer-Verein" untergegangen. "Solidarität" dagegen wurde 1947 unter strengen Auflagen der amerikanischen Militärregierung wieder zugelassen. Ein Thema, das in der Zuhörerschaft auf besonderes Interesse stößt. Offenbar hatten die Besatzer einige Bedenken, so Schäfer, es könnten sich hinter harmlos scheinenden Vereinsgründungen die alten nationalsozialistischen Kräfte wiederbeleben: Es schien den Amerikanern kaum glaubhaft, dass kaum ein Deutscher mehr Nationalsozialist gewesen sein wollte.

In den 50er und 60er Jahren führte der Verein "Solidarität" trotz Aufnahme von "Saalradfahren", also Kunstradfahren, und "Rollschuhfahren" ein eher karges Dasein, erst ab den 70er Jahren, wohl auch in Folge der Ölkrise und steigenden Umweltbewusstseins, ging es mit dem Fahrrad wieder aufwärts, etwa, wie einer der Zuhörer berichtete, mit dem Bau von Radwegen. Bereichert wurde das Radfahrerwesen zudem durch den 1977 gegründeten "Rad- und Ski-Club Elkofen".

Der Vortrag machte deutlich, dass das Radfahren in Grafing früh schon auf Interesse stieß und eine lange institutionelle Tradition besitzt. Gerade auch vor dem Hintergrund der jüngsten Krisen rund um die Themen Energie ist zu wünschen, dass das Fahrrad weiter an Attraktivität gewinnt.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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