Grafing:Streetworker für Senioren

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Podium mit Wohnzimmer-Atmosphäre: Die Grafinger SPD diskutiert das Thema Altersarmut. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Immer mehr Rentner haben immer weniger Geld zum Leben. Die Grafinger SPD sammelt in einer Debattierrunde konkrete Ideen, wie man Betroffenen im Ort helfen kann

Von Johannes Hirschlach, Grafing

Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, die Schere geht weiter auseinander: Die immer gleichen Sprüche geistern seit Jahren durch die Zeitungen, Nachrichten und Talkshows der Nation. So leicht es der Gesellschaft fällt, ihre eigenen Probleme zu erkennen, so schwer tut sie sich darin, praktikable Lösungen zu entwickeln. Eben das hatte sich die Grafinger SPD jedoch bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Altersarmut vorgenommen. Immerhin neun Zuhörer waren in den Nebenraum der Tagespflege gekommen, um sich über Folgen und Veränderungsvorschläge im Bezug zur Altersarmut auszutauschen. Nach einer Debattierrunde der anwesenden Experten - Josef Koller vom Seniorenbeirat Grafing, Andreas Bohnert, Leiter des Caritas Zentrums, Liselotte Rosin von der Grafinger Tafel und Bertram Hacker, Vertreter der SPD-Arbeitsgruppe 60 Plus in Oberbayern - sollten konkrete Ideen zur Verbesserung der Situation für Grafings Rentner entstehen.

Zwei schwere Sofas und ein Sessel bildeten das imaginäre Podium, auf dem der SPD-Ortsvorstand Christian Kerschner-Gehrling in der Rolle des Moderators die Gäste zu ihren Erfahrungen befragte. Das Ambiente der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre erinnerte ein wenig an einen Besuch beim Seelenklempner, nur dass es nicht an einem verwirrten Geist kranke, sondern am Rentensystem, darin waren sich alle einig.

150 Menschen hätten vergangenes Jahr die soziale Beratung der Caritasstelle in Anspruch genommen, sagte Andreas Bohnert, Tendenz steigend. Davon seien 50 Prozent Rentner. Die tatsächliche Zahl der Altersarmen liegt noch um ein vielfaches darüber. 364 Personen bezogen 2014 im Landkreis Ebersberg Grundsicherung im Alter. Das geht aus Daten des Landesamtes für Statistik hervor. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes betrug die Armutsgrenze im selben Jahr in Deutschland 987 Euro. Was das bei den lokal üblichen Mietpreisen bedeute, könne sich jeder selbst ausrechnen, sagte Kerschner-Gehrling. Die Tafel könne das Budget armer Menschen eigentlich stark entlasten, ergänzte Liselotte Rosin. "Leider ist das Thema immer noch sehr schambesetzt." Viele seien nicht mutig genug, Hilfe zu erbitten.

Doch nicht nur Geldmangel sei ein Problem. Gefährlich seien auch die Folgen, die daraus resultieren, so der Konsens aus Zuhörerschaft und Expertenrunde. Verarmung führe leicht zu Vereinsamung. Ältere Menschen seien bei gesellschaftlichen Angeboten nicht nur abwesend, weil sie kein Geld hätten, sondern auch weil sie soziale Teilnahme mit der Zeit verlernen würden, sagte Bohnert. Wer sich kein Getränk im Biergarten leisten könne, gehe auch nicht hin. Diese Probleme beobachtet auch Koller: "Man muss die Leute abholen, wieder mit an den Tisch holen, die sich selbst ausgrenzen", forderte er. Die Gesellschaft müsse wieder ein Gespür bekommen, hinzusehen, wenn die Nachbarin nichts habe, so ein Einwurf aus dem Publikum.

Nach der Analyse der aktuellen Situation entspann sich rasch eine lebhafte Diskussion zur Problemlösung. Ein Zuhörer schlug das Konzept eines Landkreispasses vor, der im Münchner Land auf große Nachfrage stoße. Dort können Rentner, die auf die Grundsicherung angewiesen sind, vergünstigt die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Auch die Einführung eines "Senioren-Streetworkers", der "die Leute aus dem Untergrund holt", stieß auf lebhaftes Feedback. Seniorenbeirat Koller wünschte sich die Einrichtung eines Bürgerbusses für Grafing, "der tatsächlich auch den Supermarkt, die Ortsteile und den Friedhof abfährt". Große Ziele auf Bundesebene durchzusetzen, sei jedoch sehr schwer, ließ Bertram Hacker durchblicken.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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