Grafing:Stand-up über Start-ups

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Rudi Schöllers Satire gilt der Generation Smartphone. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der österreichische Kabarettist Rudi Schöller alias "Vormärz" nimmt die Digitalisierung aufs Korn

Von ViCtor Sattler, Grafing

Ein Herr kommt in der Pause an seinen Tisch in der gemütlichen Turmstube zurück und ruft: "Und schon wieder! Seht's, seid ihr wieder am Smartphone. Hat er ja doch recht." In dieser Szene, deren Zeuge man wird, kann sich die Gesellschaftskritik des Kabarettisten Rudi Schöller ganz entfalten. Denn schon die erste Hälfte des Abends war bis zum Rand gefüllt mit iPad, Cookies, Facebook, Amazon, Bits und Bytes, Tinder und Skype.

Dabei war der Auftritt schon einmal an einer ganz altmodischen Hürde gescheitert: Im Januar hätte Grafing Ort der Weltpremiere sein können, doch Schöller musste krankheitsbedingt absagen. Nun war er schon in Wien, Linz und Graz, bevor er am Donnerstag auch den Landkreis beehrte. Der Österreicher, der eigentlich Schöllerbacher heißt, ist hier einem größeren Publikum als Kammerdiener Vormärz in der ORF-Satire "Wir sind Kaiser" bekannt geworden.

Um solche Senkrechtstarter, wie er einer ist, geht es in der ersten Hälfte von "Kompass". Da versammelt er die größten Start-Up-Talente unserer Zeit auf einer Convention, um ihre eigenwilligen Ideen zu vermarkten. Schöller, als Gastgeber des Events, schlüpft bald in die Rollen von hippen Yoga-Lehrerinnen und prolligen Deutschtürken. Alle haben zur Digitalisierung noch ein Business-Model beizutragen. Zum Beispiel kann Ömud erzählen, wie die Schule der Zukunft aussieht: Türsteher bräuchte es, um das Hingehen wieder interessant und den Einlass begehrenswert zu machen. Jugendsprache müsse endlich in die Schule einfließen - und Jugendsprache bedeutet für ihn vor allem - Anglizismen. Ähnlich wie Ömud, hat auch Schöller sein Programm mit Importen aus der englischen Sprache aufgepeppt: Das "American Breakfast" ist bei ihm eine verpackte Trump-Kritik, die Schule braucht ein "Digi"-Pult und eine Auswendig-Lern-Lounge, die Server-Farm wurde dahin gehend "geupdatet", dass Schwein und Rind artgerecht über den Data-Highway abtransportiert werden können. Zwischendurch verliert das seinen Biss: Wenn er mit modernem Vokabular und Generation-Z-Beobachtungen geradezu wahllos um sich wirft.

Die Stärken liegen aber in den Charakteren, die Schöller verkörpert, vor allem, wenn er sich für ein Bild mehr Zeit nimmt: Etwa die Mama, die tagelang vor dem iPad an Google Earth sitzt und eine diebische Freude daran hat, dass der Tomatengarten der Nachbarin, den sie observiert, einfach nicht wachsen will - weil sie nicht versteht, dass die Bilder nicht live sind. Solche digitalen Fettnäpfchen bieten dem Publikum, das an diesem Abend eher von den 40- bis 70-Jährigen gestellt wird, großen Wiedererkennungswert. Immerhin hat jede Technologie ihre Tücken. Diese jungen Leute, die das alles von der Wiege an kennen, leisten sich zwar keine solchen peinlichen Schnitzer, aber gerade wegen dieser Affinität gehen die meisten Witze an diesem Abend auf ihr Konto. Schöller, als junger Mann, erklärt hier selbstironisch seine eigene Generation, um sie dann aufs Korn zu nehmen. "Der Laptop sendet doch aggressive Strahlung aus. Nirgends streiten meine Freundin und ich soviel, wie beim Netflix-Bingewatching im Bett", verrät er.

Seine Satire wird unterbrochen vom Intermezzo mit dem Opa, der auf einer Bank im Wald die Eichhörnchen beobachtet. "Mei, san die lieb", seufzt er, der als Gegenpol mit dem Enkel über die Langsamkeit philosophiert. Er schenkt Rudi auch den titelstiftenden Kompass und gibt ihm den Hinweis, den inneren Kompass nicht zu verlieren. Gut, dass das Publikum aufgepasst hat. Denn nachdem Opa zur Pause mitten im Lied verstirbt, führt die zweite Hälfte auf eine haarsträubende Schatzsuche, in der sich die Start-Up-Unternehmer als Untergrund-Organisation "Trojanische Reiter" entpuppen. Mithilfe der Zuschauer wird der böse Plan des Schurken Dr. Ocean vereitelt und das Rätsel um die Titanic II (Nummer eins war nur ein Ablenkungsmanöver) aufgeklärt. Zum Finale steht Schöller im Finsteren, das Antlitz nur vom weißen Lichtschein des gerade ausgegrabenen Apple Macbooks erleuchtet - und das Publikum hängt an seinen Lippen, als ihnen der "Digital Native" die neue Zeit verkündet.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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