Grafing:Sahnetorte in der Villa Kunterbunt

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Gleich in vierfacher Ausführung gibt es das stärkste Mädchen der Welt beim Theaterprojekt "Pippi Langstrumpf" von Marina Lahann in Grafing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bereits zum zweiten Mal organisiert und leitet Marina Lahann ein Theaterprojekt für Familien

Von Carolin Schneider, Grafing

Frau Prysselius ist verwirrt. Ganz fest klammert sich die Dame mit dem imposanten Kopfschmuck an ihre violette Tasche. Gerade eben hatte sie noch versucht, mit ihrer näselnden Stimme die arme, kleine Pippi davon zu überzeugen, dass es ihr im Kinderheim doch ganz sicher besser gehen würde. Doch da tanzen plötzlich vier freche Mädchen mit abstehenden Zöpfen um sie herum. "Vier Pippis! Hat man so was schon mal gesehen?" fragt die Dame entsetzt, fächelt sich mit der flachen Hand Luft zu und fasst haltsuchend nach der Wand.

Und tatsächlich: In dem Stück, das die Theaterpädagogin Marina Lahann nun mit Familien einstudiert hat, gibt es das stärkste Mädchen der Welt gleich in vierfacher Ausführung. "Ich wollte allen Kindern die Chance geben, Pippi zu spielen", erklärt Lahann nach der Aufführung bei einem Stück Sahnetorte. Eine solche nämlich haben die Teilnehmer des Familien-Theaterprojekts für die Zuschauer und sich selbst gebacken. Denn was wäre Pippi ohne Pfefferkuchen und Sahnetorte? Eine kleine Pippi macht es ihrem Vorbild auch sogleich nach und isst die Torte ganz ohne Besteck.

Die gesamte Ferienwoche haben die Teilnehmer zusammen verbracht, um das Stück zu proben, Kulissen und Kostüme zu basteln und eben auch Leckereien zu backen. "Das Ziel ist es, dass Groß und Klein zusammen kreativ sind und dabei die Lust am Theaterspielen entdecken", erklärt Lahann, die in Kooperation mit der Musikschule auch eine wöchentliche Theatergruppe in Grafing leitet und bei der Pippi-Aufführung Regie führt. Veranstalter des Projekts ist das Familien- und Bürgerzentrum Grafing. Zehn Kinder und drei Erwachsene stehen am Ende der Ferien auf der Bühne in der Grafinger Boulderhalle des Vereins "Leben bewegt" und führen das Stück, das Lahann den Gegebenheiten angepasst hat, auf.

Eine etwas ungewöhnliche Bühne ist es gewiss, zwischen bunten Kletterwänden und auf blauen Matten, doch die kleinen Darsteller binden die Umgebung geschickt in ihr Spiel ein. Unkompliziert bauen sie die Umgebung selbst um, tragen einen Tisch oder das Trampolin in die Mitte und spielen dann weiter. Pippi hängt auch mal ganz oben an der Kletterwand und sieht die Polizisten deshalb schon von Weitem. "Oh, Polizisten sind das Beste, das ich kenne", ruft das freche Mädchen begeistert. Ihre Doppelgängerin fügt jedoch hinzu: "Außer Semmelknödel mit Soße vielleicht!" Das Publikum lacht. Die vier Pippis spielen sowohl Frau Prysselius, als auch den Polizisten und den Gaunern einige Streiche. "Hier bin ich", tönt es plötzlich aus allen Richtungen, die Polizisten wissen nicht so recht, wo sie zuerst hinlaufen sollen.

Die Teilnehmer passen perfekt in ihre Rollen: Während die Pippis fröhlich durch die Gegend hüpfen, sprechen die Gauner mit tiefen, heiseren Stimmen. Die Polizisten hingegen, die in ihrer großen, grünen Uniform fast unterzugehen scheinen, versuchen kompetent aufzutreten, auch wenn Pippi sie nicht ernst nimmt und sie immer wieder einfach umschubst. "Villa Kunterbunt" steht über der Bühne in bunten Buchstaben - und ein bisschen fühlt man sich in den 30 Minuten tatsächlich wie in dem Haus, in dem es keine Regeln zu geben scheint. Als Souffleuse hilft Marina Lahann bei kleinen Textschwierigkeiten, die es zwar gibt, den jungen Schauspielern jedoch niemand übel nimmt. Schließlich konnte die Gruppe nur fünf Tage miteinander proben. Auch Regisseurin Lahann ist zufrieden mit dem Auftritt der Gruppe.

Bereits zum zweiten Mal hat sie ein Familienprojekt in den Faschingsferien angeboten - im vergangenen Jahr wurde "Karneval der Tiere" aufgeführt. Auch in den Herbstferien rief sie zum Mitmachen auf, doch weil sich niemand meldete, musste das Projekt abgesagt werden. Lahann vermutet, dass das ausgewählte Stück - "Gaja, Mutter Erde und das Flötenmädchen" - die Grafinger nicht angesprochen hat. Doch mit Pippi, dachte sich die Theaterpädagogin, mit Pippi könnte es klappen. Dass dieser Gedanke richtig war, beweisen die strahlenden Gesichter der Schauspieler und der Zuschauer.

"Marina, erzähl, was mit der ersten Torte passiert ist", ruft ein kleiner Räuber nach der Aufführung frech. Und Lahann erzählt: Von ihrem Probekuchen, den sie gebacken hat, bevor sie sich daran wagte, mit zwölf Kindern eine Sahnetorte zu kreieren. Und was mit der Torte passierte, als sie sie der Gruppe zeigen wollte: "Sie stand kaum auf dem Tisch", so Lahann, "da sind alle Kinder mit ihren Fingern über sie hergefallen." Und eine kleine Pippi fügt grinsend hinzu: "Und dann ist sie auch noch auf den Boden gefallen." Die anderen Schauspieler lachen in Erinnerung an dieses Erlebnis. Es scheint, als hätten diese Kinder für eine Woche tatsächlich in der Villa Kunterbunt gelebt.

© SZ vom 20.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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