Grafing:Prunkvoll geschmückt zum Bad in der Menge

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Rosa Maier, Maria Emberger, Karin Aschauer und Helma Kandlbinder-Zilk dekorieren den Wagen mit frischem Tannengrün. (Foto: Christian Endt)

Die Grafinger Bürgerinnen mit ihren prächtigen Trachten beteiligen sich auch in diesem Jahr am Festzug zur Wiesn

Von Michael Haas, Grafing

Der Blick ist fast immer auf die Hände gerichtet. Die vier Frauen arbeiten konzentriert, zwicken mit Zangen die Äste auseinander, binden sie zusammen. Geredet wird natürlich auch, aber: Der Blick ruht fast immer still auf den Händen. Für Helma Kandlbinder-Zilk und die anderen Mitglieder der Grafinger Bürgerinnen ist es einer der wichtigsten Tage des Jahres. Der große Trachten- und Schützenzug am ersten Wiesnsonntag steht bevor, die vier Frauen schmücken den Wagen des Vereins.

Seit ihrer Gründung vor 28 Jahren sind die Grafinger Bürgerinnen regelmäßig dabei. Kein Wunder, schließlich widmet sich der Verein der Pflege und Weitergabe alter Tracht. "Wir wollen sie präsentieren, damit sie nicht untergeht", erzählt Kandlbinder-Zilk. Sie ist die Vorsitzende des Vereins und eine große Anhängerin der alten Tracht. "Wir haben alles gesammelt, was herging", sagt sie. Inzwischen befinden sich im Fundus des Vereins nicht nur alte Kaschmirschals und Riegelhauben, sondern auch historische Mieder mit silbernem Geschnür. Teilweise haben die Mitglieder auch versucht, solche Stücke selbst zu machen. "Wir haben schnell gemerkt, wie schwierig das ist", erinnert sich Kandlbinder-Zilk. Vor allem die Städter mochten es eben kompliziert und ausgefallen.

In Grafing hingegen war die Tracht eher einfach gehalten. Weiße oder schwarze Blusen, ein schweres Mieder, das einzig Kostbare seien meist die Schürzen gewesen, sagt Kandlbinder-Zilk. Und natürlich die Anhänger am Geschnür - Ausdruck des Ranges in der bäuerlichen Gesellschaft. Je mehr Anhänger jemand hatte, desto größer sei der eigene Hof gewesen, erzählt Kandlbinder-Zilk. "Da hatten manche ganz schön zu schleppen." Sie und die anderen Frauen des Vereins werden das am Sonntag auch wieder merken.

Zuletzt waren sie in jedem zweiten Jahr beim Trachten- und Schützenzug dabei. Entsprechend routiniert laufen die Vorbereitungen. Schon einige Tage zuvor wurde eine Tanne gefällt und handlich zerkleinert, nun binden Kandlbinder-Zilk und die anderen Frauen Girlanden daraus. Dass die nötig sind, haben einst die Organisatoren in München entschieden. Der Wagen solle einerseits für das Holz-Land Ebersberg, andererseits für die Brauereien des Landkreises stehen, erzählt Kandlbinder-Zilk. Hopfen wird den Wagen am Sonntag also ebenfalls schmücken. Angebracht werde er aber erst am Samstag, "in letzter Sekunde", erzählt die 80-Jährige.

Sie ist seit der Gründung der Grafinger Bürgerinnen dabei, die Leidenschaft für alte Tracht weckten bei ihr die beiden Töchter. Die wären eines Tages wegen ihrer schönen langen Haare gefragt worden, ob sie nicht bei einem Trachtenfest mitmachen wollten, erinnert sich Kandlbinder-Zilk. "Da habe ich gesehen, dass ich solche Sachen auch im Schrank habe." Die Schwiegermutter hatte ihr die Gewänder vererbt. Wenig später gründete sie gemeinsam mit anderen Frauen den Verein. Heute hat er etwa 70 Mitglieder im Alter zwischen 18 und 80 Jahren. Sie feiern, machen Ausflüge und besuchen Veranstaltungen wie die Schlierseer Kirta, das große Kirchweihfest - alles natürlich in passender Kleidung. "Wir wollen doch unsere Trachten auch mal herzeigen und nicht nur im Kasten haben", sagt Kandlbinder-Zilk.

Nach München wird der Verein am Sonntag 80 Menschen aus allen Altersstufen mitnehmen. Bis aus Zürich und Amsterdam kommen Mitglieder und Ehemalige eigens angereist. Eine Frau lande sogar erst morgens um sieben Uhr mit einem Flugzeug aus Paris in München, erzählt Kandlbinder-Zilk stolz.

Früh aufstehen, sieben Kilometer Fußmarsch, möglicherweise Regen - das hält kaum einen ab. Der Andrang sei in jedem Jahr groß, erzählt die Vorsitzende des Vereins. Sie weiß auch, warum: "Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es das Bad in der Menge. Man bekommt so viel zurück von den Zuschauern." Der Applaus tausender Menschen an der Strecke und der Kontakt mit den Besuchern sind für die Teilnehmer besondere Momente. Und dass es hinterher reservierte Plätze, ein halbes Hendl und eine Maß Bier auf der "Oiden Wiesn" gibt, schadet der Beliebtheit des Umzugs sicher auch nicht. Bis es soweit ist, liegt aber noch einiges an Arbeit vor den Frauen. Die Girlanden werden länger, in der Garage des Bauhofs wartet schon der Wagen. Es ist die Nachbildung eines Gefährts, das schon im Jahr 1835 Abgesandte Grafings in die Landeshauptstadt brachte, zur Silberhochzeit von König Ludwig I. und Therese. Schon damals gab es einen Trachten- und Schützenzug. Die beiden Figuren auf dem Wagen, der Gott des Bieres und die Göttin der Feldfrüchte, sind noch eingeklappt, zwei Bayernfahnen liegen zerknittert und verlassen auf den Bänken im Inneren. Über der Brüstung hängen bereits einige Girlanden, sie sind noch nicht festgebunden. Helma Kandlbinder-Zilk rückt die Zweige zurecht. "Mei, eigentlich ist es schon viel Arbeit, nur für zwei Stunden. Und dann wird wieder abmontiert und eingemottet." Sagt sie, nimmt die Zange und bindet weiter.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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