Grafing:Plädoyer für Verantwortung

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Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr hat viel zu tun, bis sie alle Hände geschüttelt hat, der Neujahrsempfang der Stadt ist gut besucht. (Foto: Hinz-Rosin)

Angelika Obermayr wirbt um gemeinsame Anstrengung für eine erfolgreiche Integration

Von Anselm Schindler, Grafing

Um Angelika Obermayr die Hand zu schütteln, muss man sich an diesem Sonntagmittag in einer Schlange anstellen. Sie reicht zu Beginn des Grafinger Neujahrsempfangs von der Tür des Saals der Stadthalle bis zu den Stehtischen. Die Oberbürgermeisterin macht ihre Honneurs, dann bahnt sie sich den Weg durch die Menge, die sich um die Stehtische schart. Sie braucht etwas Geduld, um sich gegen das Stimmengewirr durchzusetzen. Was dann folgt, überrascht vielleicht manch einen, der mit einer Sonntagsrede gerechnet hat.

Es ist Obermayrs zweite Neujahrsansprache, ihre Bilanz auch ein Resümee ihrer bald zwei Jahre Amtszeit, eine Bilanz, die Probleme nicht ausspart: Überarbeitete Stadt-Mitarbeiter, streitlustige Stadträte, Wohnungsmangel und überquellende Müllcontainer. Doch von diesen Herausforderungen dürfe man sich nicht entmutigen lassen, betont die Oberbürgermeisterin. Schließlich sei in Grafing im vergangenen Jahr auch vieles vorangegangen. Die Schaffung eines neuen Gebäudes für Musik- und Volkshochschule listet sie unter diesen Erfolgen auf. Auch über die Fortschritte in der geplanten Erweiterung des Gewerbegebiets freut sich die Kommunalpolitikerin. Und: 2016 bekommt Grafing endlich einen neuen Bauhof.

Im Mittelpunkt des Neujahrsempfangs stehen die Herausforderungen, die mit der Ankunft der Flüchtlinge in der Stadt zu meistern sind. Auch hier scheut Obermayr sich nicht davor, Probleme anzusprechen. Vor allem die Wohnungsnot verschärfe sich durch die Aufnahme von geflüchteten Menschen. Dafür allerdings trügen nicht die Asylbewerber Verantwortung sondern das hänge mit jahrzehntelangen Versäumnissen bei der Schaffung von preisgünstigem Wohnraum zusammen. Und an diesem Punkt nimmt sie - zumindest indirekt - auch ihre Amtsvorgänger in die Verantwortung: Auch in Grafing würden erst seit einigen Jahren wieder Wohnungen für Normalverdiener gebaut, erklärt die Grünen-Bürgermeisterin. Sie verspricht, weiterhin Grund für Genossenschaftswohnungen zur Verfügung zu stellen und Wohnungsbestand zu sanieren. Es ist ein Versprechen, an dem sie sich messen lassen werden muss.

Mit Blick auf die Integration der Flüchtlinge zitiert Obermayr Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Das wird Zeit, Kraft und Geld kosten." Integration allerdings sei keine Leistung, die nur von einer Seite zu erbringen ist. Wichtig sei auch, dass man den neuen Mitbürgern das Gefühl gebe, angenommen zu werden. In Sachen Integration müsse man "aus den Fehlern der Vergangenheit lernen", betont sie. Auch diese Worte stammen von Merkel. Und auch wenn es unausgesprochen bleibt: Gemeint ist auch der fragwürdige Umgang mit türkischen Arbeitsmigranten in den 70er Jahren.

Integration verlange freilich auch den Flüchtlingen und Migranten Zugeständnisse ab, es gebe Werte, die die Mehrheitsgesellschaft offensiv vertreten müsse. Dazu gehörten Freiheit und Gleichheit, gerade auch die Gleichberechtigung der Geschlechter. Doch in diesem Punkt wundere sie sich oft, wer sich angesichts der Flüchtlingsströme plötzlich für Gleichberechtigung einsetze, sagt die Bürgermeisterin und lächelt süffisant. Die Botschaft: Erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren. Zum einen sei die Gleichberechtigung auch in der deutschen Gesellschaft längst nicht vollständig umgesetzt, zum anderen eine Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte. Ihre Urgroßmutter sei noch zwangsverheiratet worden, erklärt Obermayr, erst ihre Großmutter durfte wählen. Und selbst ihre Mutter sei noch in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Frauen stark abhängig von ihren Männern gewesen seien.

Es gebe Werte, die seien unumstößlich in einer freiheitlichen Gesellschaft, betont die Bürgermeisterin. Naturwissenschaftliches Denken, Toleranz und Menschenrechte gehörten dazu. Doch davon, Flüchtlingen eine Leitkultur vorzuschreiben halte sie nichts. Einige Bürger fangen an zu klatschen. Alle sind es bei weitem nicht. Auch zur strengen protestantischen Kultur ihrer Großmutter habe ein Kopftuch gehört, erklärt Grafings Bürgermeisterin. "Sie wäre entrüstet gewesen, hätte ihr jemand gesagt, dass das kulturell nicht erwünscht sei".

© SZ vom 04.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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