Grafing:Neue und bekannte Töne

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"Wir müssen ganz genau hinschauen, wer aus einem Kriegs- oder Krisengebiet kommt", betont Sozialministerin Emilia Müller in Grafing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Tag der Heimat in der Grafinger Stadthalle wird auch an die Menschen erinnert, die heute auf der Flucht sind. Sozialministerin Emilia Müller verteidigt aber ihr Vorgehen gegen Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen

Von Christian Endt, Grafing

Der Zweite Weltkrieg und die Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten sind inzwischen 70 Jahre her. Aber das Thema Flucht und Vertreibung ist in diesen Tagen so aktuell wie lange nicht. Beim Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen (BdV) in der Grafinger Stadthalle gingen die beiden Hauptredner, beides CSU-Politiker, unterschiedlich mit dieser Parallele um, die der BdV bereits mit der Wahl des Mottos "Vertreibungen sind Unrecht - gestern wie heute" hergestellt hatte. Eine mutige Entscheidung. Schließlich gelten die Vertriebenen als erzkonservativ, viele lehnen den Vergleich mit heutigen Flüchtlingen ab.

Den Anfang machte Landrat Robert Niedergesäß, der auch die Schirmherrschaft der Veranstaltung übernommen hatte. In seiner Ansprache lobte er das Fest, da es zum "Erlebbarmachen von Geschichte" beitrage. Dann aber sprach Niedergesäß hauptsächlich von den heutigen Flüchtlingen. Schließlich sind die es, die ihn und seine Mitarbeiter im Landratsamt derzeit jeden Tag beschäftigen. Er stellte den großen historischen Zusammenhang her: "Über Jahrhunderte sind Menschen aus Deutschland geflohen, vor Krieg, vor Armut. Nun erleben wir die umgekehrte Situation, dass sie zu uns nach Deutschland fliehen aus der Welt." Zu diesem Wohlstand, der die Menschen jetzt nach Deutschland zieht, hätten nach dem Krieg auch die damaligen Vertriebenen beigetragen. Damals wie heute habe es Wohnungsnot im Landkreis gegeben. Niedergesäß stellte auch einen Unterschied heraus, sagte an die Vertriebenen im Saal gewandt: "Sie kamen aus dem gleichen Kulturkreis und sprachen die gleiche Sprache."

Zurück bei der Gegenwart, lobte Niedergesäß das große Engagement der Ehrenamtlichen und Gemeinden in seinem Landkreis: Da gebe es einen "erfreulichen Grundkonsens". Besonders hob er den Helferkreis Markt Schwaben hervor. Dort hatten sich 160 Freiwillige schon auf die bloße Nachricht hin gefunden, dass demnächst 250 Flüchtlinge in den Ort kommen sollen. Aber auch bei der Staatsregierung bedankte sich Niedergesäß für "die großartige Unterstützung für die Landkreise und Gemeinden. Man dürfe, sagte Niedergesäß auch, "die norme Herausforderung im Landkreis nicht kleinreden". Er warnte: "Auf Dauer schaffen wir das in dem Tempo nicht." Insgesamt dreimal zählte Niedergesäß in seiner Rede die verschiedenen Fluchtgründe auf, etwa wenn er sagte: "Es kommt ja keiner hierher, dem es daheim gut geht. Sie fliehen vor Terror, Krieg, Hunger und Armut."

Die zweite Hauptrednerin differenzierte an diesem Punkt. Emilia Müller vertritt als Sozialministerin die Bayerische Staatsregierung und legte auch in Grafing großen Wert auf die dort übliche Unterscheidung: "Wir müssen ganz genau hinschauen, wer aus einem Kriegs- oder Krisengebiet kommt und wer nur eine bessere wirtschaftliche Situation sucht." An erster Stelle sei man für die eigene Bevölkerung da. "Richtig", rief an dieser Stelle jemand, der einzige Zwischenruf des Tages.

Die Ministerin sprach weiter von "einer großen humanitären Herausforderung von historischer Bedeutung" und appellierte an die anderen Bundesländer und EU-Mitgliedsstaaten, ihren Teil beizutragen. Gegen Ende wiederholte Müller ihre Forderung nach Abschiebungen: "Wir müssen den Flüchtlingen helfen, aber wir müssen ebenso die Wirtschaftsmigranten zurückschicken."

Zur Vertreibung von damals forderte Müller den Bund zu Entschädigungszahlungen an damalige Zwangsarbeiter auf und erntete damit Applaus. Die Staatsministerin erzählte von ihrer eigenen Jugend in der Oberpfalz, an der tschechischen Grenze, von ersten Berührungen mit der böhmischen Küche, die eine "Bereicherung" gewesen seien. Müller pries die offenen Grenzen, die es ermöglichen würden, an die alten Heimatorte zurückzukehren. Sie lobte auch die Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen bei der Bewahrung der Kultur der Vertriebenen.

Diese Kultur sollte auch am Tag der Heimat gepflegt werden. Auf die politischen Reden folgten traditionelle Tänze, Blasmusik und Mundart-Vorträge. In Liedern wurde der Verlust der Heimat besungen. Viele im Publikum sangen mit. Die Grafinger Stadthalle war ordentlich gefüllt, aber der Altersdurchschnitt war hoch. In einigen Jahren wird von den alten Vertriebenen keiner mehr übrig sein. Dafür jede Menge neuer Flüchtlinge.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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