Grafing:Monolog mit Schwachstellen

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Isolation als selbst gewählter Rückzug? Kritik am Patriarchat? Dorothee Hartingers Fassung von "Die Wand" lässt viele Interpretationen zu. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Burgschauspielerin Dorothee Hartinger präsentiert in Grafing den Roman "Die Wand"

Von Peter Kees, Grafing

Es ist viel hineininterpretiert worden in Marlen Haushofers Roman "Die Wand": von Zivilisationskritik über den Wunsch eines harmonischen Zusammenlebens von Mensch und Tier bis hin zur Kritik am Patriarchat. Der Roman der Österreicherin erschien 1963, doch große Bekanntheit erreichte der Stoff erst 2012 durch eine Verfilmung von Julian Pölsler mit Martina Gedeck in der Hauptrolle: Eine Frau wacht eines Morgens in einer Jagdhütte in den Bergen auf (zu der sie mit ihrer Cousine und deren Ehemann über ein Wochenende gefahren war, das Paar geht abends noch aus, während die Frau alleine zurückbleibt) und findet sich von einer gläsernen Wand eingeschlossen. Kein Mensch ist da. Die Frau ist und bleibt alleine, isoliert, nur von ihrem Hund Luchs, später von einer Kuh und einer Katze begleitet. Im Lauf der Zeit bekommen die Tiere Nachwuchs und werden zu Freunden. Im Grunde ist es eine Robinsonade. Die Protagonistin lernt in der Abgeschiedenheit zu überleben, ganz archaisch.

Die Burgschauspielerin Dorothee Hartinger - an der Otto-Falckenberg-Schule in München ausgebildet - gastierte nun am Sonntag mit einem szenischen Monolog dieses Stoffes in der Grafinger Stadthalle. Hartinger ist eine Darstellerin, die ihr Publikum über hundert Minuten hinweg wunderbar in den Bann zu ziehen vermag, doch diese Aufführung hat auch ihre Schwachstellen. Das liegt aber nicht an den starken Bildern aus der Verfilmung, die man ob ihres visuellen Sogs noch im Kopf hat, sondern vor allem an der szenischen Einrichtung dieser Monologfassung.

Hartinger bringt einen Rucksack voller Gegenstände auf die Bühne, Requisiten, die sie ohne Ende einsetzt, um die Szenen fast zeigefingerartig zu bebildern. Um ein paar Beispiele zu nennen: Da wird eine Kuhglocke herausgeholt - es geht gerade um die Kuh -, eine Decke, als sie sich schlafen legt, ein Holzstab wird zum Gewehr, als sie übers Jagen spricht. Die Vielzahl dieser Hilfsmittel aber lässt die Inszenierung schnell einfältig wirken. Als die Frau irgendwann zu einer Alm aufsteigt, erklimmt Hartinger schließlich auch noch eine auf der Bühne stehende Aluleiter. Auch das wirkt abgegriffen. Einen Monolog in Szene zu setzen, ist freilich kein einfaches Unterfangen. Doch Vertrauen in die hervorragende und facettenreiche Darstellerin wäre hier sicher der bessere Ansatz gewesen. Eine Künstlerin wie Hartinger vermag auch ohne all diesen Krimskrams, eine dichte Atmosphäre und Bilder zu kreieren.

Und noch etwas muss angemerkt werden: Hartinger spricht hier permanent in irrem schnellen, fast hysterisch wirkendem Tempo. Sicherlich ist die in der Geschichte beschriebene Situation für die Protagonistin der blanke Horror, doch auch hier könnte eine erfahrene Regiehand helfen. Modulationen, Pausen, Tempoverschiebungen, Stimmungswandel - all das hätte feiner sein können. Blaues Licht anzumachen, um Mondlicht zu erzeugen, ist es eben nicht. Einen Mond kann man im Theater auch ohne das sehen - und zwar dann, wenn es der Darsteller will.

Der Abend in der Grafinger Stadthalle hatte aber auch Qualitäten. Die surreale Geschichte, die hier erzählt wird, fasziniert allemal. Ob man allerdings die Ermordung des Mannes - der gegen Ende dann doch auftaucht und den inzwischen geborenen Stier mit einer Axt erschlägt sowie den zu Hilfe kommenden Hund tötet - als Kritik am Patriarchat interpretieren muss, sei einmal dahingestellt. Bemerkenswert: Die Ich-Erzählerin spricht immer wieder davon, den Versuch zu unternehmen, sich unterhalb der Wand durchzugraben - vielleicht gäbe es ja dort einen Ausweg - allein, sie tut es nie. Sie bleibt in ihrer Gefangenschaft.

Die Isolation wird so zum selbst gewählten Rückzug. Die entbehrungsreiche Arbeit des Überlebens, die nun den Alltag der Frau bestimmt, erinnert an jenes ärmlich-bäuerliche Milieu, in dem die Autorin, Marlen Haushofer, selbst aufgewachsen ist. Ihr Roman "Die Wand", in dem sich die isolierte Frau quasi neu erfinden muss, könnte dementsprechend als literarischer Ausbruchsversuch aus einer realen Welt verstanden werden.

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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