Markt Schwaben:"Ich habe mich entschieden: Liebe ist stärker als Hass"

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Der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz erzählt am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben von seinem Leben. Dabei steht besonders seine Zeit als jüdischer KZ-Häftling im Mittelpunkt

Von Nina Kugler, Grafing

Eigentlich muss immer das Publikum auf den Stargast warten. Diesmal nicht. Leslie Schwartz sitzt lange vor Veranstaltungsbeginn im Theatersaal des Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben und redet sich schon mal warm. Er zeigt sein Bundesverdienstkreuz, das ihm 2013 verliehen wurde, und spricht über seine Arbeit bei der amerikanischen "Next Generations" Stiftung, die sich gegen das Vergessen der Shoah einsetzt. Denn Leslie Schwartz selbst ist ein Überlebender des Holocaust. Er war gerade einmal 14 Jahre alt, als er aus seiner ungarischen Heimat mit seiner gesamten Familie deportiert wurde und nach Auschwitz kam. "Dort sah ich meine Mutter, meine Schwestern und meinen Stiefvater zum letzten Mal", erzählt Schwartz, der während seinen Erzählungen immer wieder zwischen deutsch und englisch wechselt.

Schwartz hatte lange gebraucht, sich öffentlich mit dem Holocaust auseinander zu setzten. Den Rat seines Onkels, der ihn nach dem Krieg in die Vereinigten Staaten nach Los Angeles holte, alles was passiert sei zu vergessen und neu anzufangen, nahm Schwartz an. Erst 2007 veröffentlichte er seine Autobiografie "Durch die Hölle von Auschwitz und Dachau", 2011 folgte der Film "Der Mühldorfer Todeszug", den Schwartz gemeinsam mit sechs Schülern des Markt Schwabener Gymnasiums realisiert hat. Er arbeitet darin seine eigene Geschichte auf, möchte aber gleichzeitig die Erinnerung an den Holocaust lebendig erhalten. Besonders die junge deutsche Generation soll nicht vergessen, das ist Schwartz wichtig. Deshalb spricht er immer wieder vor Schülern in Deutschland, alleine in den letzten vier Jahren hat er rund 150 Schulen besucht. Mit fester und klarer Stimme erzählt Schwartz von der "Hölle" die er durchleben musste, er meint damit die Konzentrationslager Auschwitz und Dachau. "Mir wurde alles genommen: meine Freiheit, meine Staatsangehörigkeit, meine Familie". Nur der Biologie nach sei er noch ein Mensch gewesen, "meine Menschlichkeit musste ich aufgeben, ich hatte keine Wahl". Dennoch betont er heute immer wieder, dass er keinen Hass gegen Deutschland empfinde. "Meine Suche nach Heilung ist auch Deutschlands Suche nach Heilung", versucht er die gegenseitige Schicksalsgemeinschaft zu erklären.

Dabei hätte Schwartz allen Grund zu hassen. Zum Kriegsende wird er, völlig entkräftet von der Zwangsarbeit, die er verrichten musste, mit 3600 anderen Häftlingen mit einem Zug von der Dachauer KZ-Außenstelle Mühldorf mit dem Zug in Richtung Seeshaupt abtransportiert. Bei einem Halt in Poing, als mehrere Häftlinge den Zug verlassen, schießt ihm ein Wachmann in den Nacken. Schwartz überlebt auch das. "Aber ich fragte mich: Ist es möglich, ohne Fleisch auf den Rippen zu überleben? Das machte mir Angst." Bei der Befreiung des Zuges am Tutzinger Bahnhof durch die Alliierten am 30. April 1945 wiegt Schwartz nur noch 34 Kilogramm.

Schwartz spielt leicht nervös an einem Bonbon-Papier herum, die anwesenden Schüler hören gespannt zu, kein Laut ist während seines Vortrags zu hören. Lediglich die englische Sprache scheint manchen Kindern noch Schwierigkeiten zu bereiten. "Ich habe nicht alles verstanden, aber das Wichtigste schon", gibt eine Schülerin zu. Dennoch scheuen sich die Kinder nicht, dem Holocaust-Überlebenden ihre Fragen zu stellen. Ein Bub möchte gerne wissen, wie es für ihn nach dem Krieg weiter gegangen sei. Schwartz berichtet, dass er kurzzeitig in seine Heimatstadt in Ungarn zurückgekehrt sei, aber es zu traurig war, weil er der einzige Überlebende seiner Familie war. Er kam nach Deutschland zurück in ein Lager für "displaced persons" bei Wolfratshausen. Dort erreichte ihn der Brief des Onkels, der ihn schließlich zu sich in die USA holte. Ob es nicht schwierig gewesen sei für ihn in Deutschland nach dem Krieg, fragt ein anderer Schüler. Natürlich sei es das gewesen, die Erinnerung und der Schmerz waren noch frisch, erzählt Schwartz. Aber er habe auch gute Deutsche kennengelernt während des Krieges. Er berichtet von drei Deutschen, die ihm Essen gebracht hätten während er im Deportationszug saß. "Sie haben ihr Leben riskiert. Das hat mir gezeigt, dass nicht alle Deutschen gleich sind und das hat mir Liebe und Hoffnung gegeben." Heute sei es besonders das Zusammentreffen mit jungen Deutschen, das ihn erfreut. Durch die Arbeit an Schulen fühle er sich heute sehr wohl in Deutschland, sagt Schwartz, der in zweiter Ehe mit einer Deutschen verheiratet ist und zeitweise in Münster lebt. "Ich habe mich entschieden: Liebe ist stärker als Hass." Ein Mädchen möchte noch wissen, welcher Nationalität er sich zugehörig fühle: Ungarn, Deutschland oder Amerika? "A man around the globe", antwortet Schwartz und lacht. Zum Ende bittet Schwartz die Schüler noch um ein Gruppenfoto und ruft ihnen zum Abschied zu: "I love all of you!" Nein, Leslie Schwartz ist wirklich kein gewöhnlicher Stargast.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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