Ermittlungen laufen:Mannheimer-Sohn schockiert über Antisemitismus an Grafinger Schule

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Das Gymnasium soll bald den Namen des Holocaustüberlebenden Max Mannheimer tragen. In dessen Familie ist der Schock über die jüngsten Vorfälle groß.

Von Helmut Zeller und Barbara Mooser, Ebersberg/Dachau

Der Schock über antisemitische Inhalte im Chat einer neunten Klasse am Gymnasium Grafing sitzt tief - nicht nur im Landkreis Ebersberg, sondern auch bei der Familie des Holocaustüberlebenden Max Mannheimer, nach dem im Januar nächsten Jahres die Schule benannt werden soll. "Mein erster Impuls war, wir sollten versuchen, die Genehmigung zurückzuziehen, dass die Schule nach unserem Vater benannt wird", sagte Sohn Ernst Mannheimer der SZ. Seinem ersten Impuls will er aber nicht nachgeben: "Das wäre nicht im Sinne unseres Vaters." Klar geworden ist unterdessen, dass auch mehrere Schüler, die die Realschule Ebersberg besuchen, für antisemitische und rassistische Inhalte in dem Chat verantwortlich waren.

Bekannt geworden waren die Vorfälle in der vergangenen Woche, als der Grafinger Schulleiter Paul Schötz die Eltern in einem Brief informiert hatte. Außer Hakenkreuzen und Sprüchen über Gaskammern war in dem Chat ein Liedtext verbreitet worden, der zum Judenmord und zu Angriffen auf Parlamente aufruft. Die Staatsanwaltschaft München II hat die Ermittlungen aufgenommen, gibt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch keine Stellungnahme dazu ab.

Auch an der Realschule arbeitet man die Geschehnisse auf

Auch die Realschule Ebersberg hat nun mit der Aufarbeitung der Geschehnisse begonnen. "In einigen wenigen Fällen" sei Anzeige erstattet worden, sagt Schulleiter Rudolf Bäuml, der sich nicht dazu äußert, wie viele Schüler insgesamt beteiligt waren. Man nehme das Thema sehr ernst, habe den Elternbeirat informiert und einen Elternbrief verschickt. Darüber hinaus werde die Schule gegebenenfalls Ordnungsmaßnahmen ergreifen, sobald mehr Klarheit über den Fall bestehe.

Max Mannheimer (Mitte) mit Sohn Ernst und Tochter Evi Fissler. (Foto: DAH)

Über die Schrecken des Nationalsozialismus und die antisemitschen Verbrechen klärt die Realschule laut Bäuml im Unterricht und bei Exkursionen - beispielsweise ins Konzentrationslager Dachau - auf. "Aber wir können solche Dinge, wie sie jetzt passiert sind, nicht verhindern. So leid es mir tut." Die Jugendlichen seien sich darüber hinaus gar nicht bewusst, welche strafrechtliche Konsequenzen ihre Handlungen in den sozialen Netzwerken haben könnten. Darauf habe die Schule aber "nur begrenzt Einfluss", auf dem Schulgelände sei die Nutzung von Smartphones ohnehin verboten.

Zwei Schüler müssen vor dem Disziplinarausschuss erscheinen

Am Gymnasium Grafing haben unterdessen zwei Schüler für ihre antisemitischen Beiträge im Klassenchat eine Ladung vor den Disziplinarausschuss der Schule erhalten. Dieser soll laut Schulleiter Paul Schötz in Kürze tagen. Andere Schüler, die sich wegen der hetzerischen Inhalte des Chats an ihre Eltern und Lehrer wandten und so das Thema überhaupt erst ans Tageslicht brachten, haben in den vergangenen Tagen viel Zuspruch erhalten, unter anderem von der Bundeskoordination "Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage". "Wir bedanken uns bei der Schule für ihre entschiedene Reaktion. Damit haben die Schüler*innen im Sinne der Selbstverpflichtung der Courage-Schulen gehandelt, in der es in Punkt Zwei heißt: ,Wenn an meiner Schule Gewalt, diskriminierende Äußerungen oder Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich dagegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem gemeinsam Wege finden, uns zukünftig zu achten'", heißt es im aktuellen Rundbrief. Auch Ernst Mannheimer bewertet die Reaktion der Schule als "positives Zeichen".

Dennoch belaste der Vorfall die Familie Mannheimer. "Eine potenzielle Schmähung des Namens unseres Vaters und unserer Familie (die ja geschehen wird auch aufgrund der Tatsache, dass dort eine Dauerausstellung mit Familienfotos gezeigt wird) empfinde ich natürlich als psychisch bedrängend", erklärt Ernst Mannheimer. Mehr noch als "das generelle Vorkommen von Antisemitismus, der ja eine Tatsache ist, die zu leugnen idiotisch wäre". So wie es eben subjektiv einen Unterschied mache, ob auf einem jüdischen Friedhof Gräber geschändet werden von Menschen, die man nicht kennt, oder der Grabstein von Familienangehörigen, obwohl objektiv beides gleich schlimm sei.

Judenfeindlichkeit geht sowohl von Schülern als auch von Lehrern aus

Antisemitismus an Schulen in Deutschland ist keine Randerscheinung. Immer wieder werden jüdische Schüler gemobbt, wie eine Studie der Frankfurter Soziologin Julia Bernstein zur bundesweiten Situation von 2018 ergab. Judenfeindlichkeit geht demnach sowohl von Schülern als auch von Lehrern aus - und wird häufig bagatellisiert oder verschwiegen. In einem Fall sagte ein Lehrer zu einem Betroffenen: "Wenn alle Juden so wären wie du, dann kann ich Hitler verstehen." Vor diesem Hintergrund, sagt Ernst Mannheimer, wolle er sich von dem Vorfall in Grafing nicht belasten lassen - "wenn ich bedenke, was jüdische Kinder an Schulen über sich ergehen lassen müssen". Diesen alltäglichen Zumutungen sei er gar nicht ausgesetzt.

Der Klassenchat mit seiner antisemitischen Hetze ist ein Aspekt des allgemein zunehmenden Judenhasses. Um 20 Prozent, auf rund 1800 angezeigte antisemitische Delikte, stieg die Zahl von 2017 bis 2018 - bei einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Fälle. Für Bayern registrierte die Meldestelle Rias (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) allein in sechs Monaten 96 antisemitische Vorfälle - jeder zweite Tag ein verbaler oder körperlicher Übergriff.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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