Grafing:Gekränzt, geschmückt, gesegnet

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Bei der Grafinger Leonhardifahrt erinnern 40 Gespanne mit kunstvoll gestalteten Wagen und Teilnehmer in Festtagstracht an einen vielfältigen Patron

Von Thorsten Rienth, Grafing

Und irgendwann fiel dann der Satz, der alles zusammenfasst: "Leonhard lehrt uns, Menschenrechte und Menschenwürde ernst zu nehmen - auch hier im Landkreis und in unserer Stadt leben Menschen in Krankheit und Diskriminierung, denen wir uns annehmen müssen." Pfarrer Anicet Mutonkole-Muyombi rief ihn vor der Grafinger Leonhardikirche ins Mikrofon. Vor ihm saß auf Bierbänken die Prominenz und dahinter drängten sich einige hundert Gottesdienstbesucher. Einmal mehr hat Grafing am Sonntag seine Leonhardifahrt gefeiert.

Alles, das ist inzwischen auch weit mehr, als der Ursprung der Wallfahrt. "An den vielen Menschen, die zu uns flüchten, können wir wahrnehmen, wie gut es uns eigentlich geht", sagte der Pfarrer. "Passen wir auf, dass in dieser Frage nicht der Egoismus die letzte Antwort hat. Und vergessen wir die Menschen nicht, die Woche für Woche bei der Tafel ihr Essen abholen." Zur kirchlichen Komponente ist also eine weltliche, eine gesellschaftliche und eine politische hinzugekommen.

Mutonkole-Muyombis Sätze passen trotzdem gut zur Tradition der Wallfahrt mit Pferdesegnung, die zurückgeht bis ins 11. Jahrhundert und schon zu dieser Zeit Leute gesellschaftsschichtenübergreifend zusammenbrachte. Damals hatten Gläubige in Altbayern und Westösterreich begonnen, den Abt Leonhard mit Pferdekutschenumzügen zu ehren. Bemerkenswert daran: Der Mann lebte gut 500 Jahre vorher und wurde im Laufe der Jahrhunderte Schutzpatron der Stallknechte, Schmiede, Obsthändler, Nutztiere, Bergleute - und der Schwangeren.

Letzteres hat mit der Legende zu tun, mit der die Volksgeschichtsschreibung einen regelrechten Kult um Leonhard spann: Um das Jahr 500 soll er sich als Einsiedler und Wanderprediger in die Wälder um Limoges in Mittelfrankreich zurückgezogen haben. Als die Königin bei einem Jagdausflug zu früh in die Wehen kam, soll ihr Leonhard bei der Geburt des Sohnes geholfen haben. Aus Dankbarkeit überließ der König Leonhard das Waldareal, worauf der Priester dort das Kloster Noblanc gründete.

Der Kern des Leonhardi-Brauchtums, das in Grafing mindestens bis ins Jahr 1708 zurückgeht, ist bis heute geblieben: Mit festlich geschmückten Kaltblütern, reichlich Weihrauch und in Festtagstracht. Eine Attraktion, die man seinen Bekannten aus Norddeutschland zeigt, aus Asien oder Amerika. Weil es eben noch wirkliches Brauchtum ist und kein Massenbesäufnis auf der Münchner Theresienwiese.

Ohne Professionalität funktioniert die Sache freilich nicht. Die Fahrt ist eine gut einstudierte Choreografie von 40 Gespannen, die sich in der Griesstraße aufstellen und dann dreimal um den Marktplatz fahren. Deutlich mehr als 1000 Zuschauer säumten die Straßenränder. Als Ehrengast war heuer die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) mit dabei. Die, wie Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) anerkannte, "in den vielen hitzigen Debatten der letzten Monate angenehm und sachlich die Ruhe bewahrt hat".

Nachdem im vergangenen Jahr einige Flüchtlingskinder mit ihren Betreuern in den Kutschen mitfuhren, vergab die Bürgermeisterin in diesem Jahr einige Plätze an Bewohner der Grafinger Außenwohngruppe des Einrichtungsverbunds Steinhöring für Menschen mit Behinderung und deren Betreuerin Ottilie Eberl.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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