Grafing:Furcht und Schrecken ohne Ende

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Eine neue Sonderausstellung des Grafinger Stadtmuseums widmet sich Katastrophen und Unglücksfällen in der Region. Vom Barbarenüberfall bis zum Flugzeugabsturz ist alles dabei

Von Rita Baedeker, Grafing

Schrecken, Herzrasen, der Ausruf "Oh du mein Gott!" Das sind für gewöhnlich die Reaktionen, wenn man Zeuge eines schweren Unglücks wird. Noch Wochen, Monate oder Jahre bleiben, je nach persönlicher Nähe zum Geschehen, die Bilder im Gedächtnis. Für Opfer und deren Angehörige verändern solche Erlebnisse manchmal das ganze Leben.

"Oh du mein Gott!" Mit diesem um Schonung flehenden Schreckensruf ist auch die Sonderausstellung im Museum Grafing überschrieben, die am Donnerstag, 27. Oktober, eröffnet wird. Thema sind Katastrophen und Unglücksfälle in Grafing und Umgebung von Mittelalter und früher Neuzeit bis zum Jahr 2016. Die Idee dazu hatte Rotraud Acker, die vor Bernhard Schäfer das Museum geleitet hat. "Die Frage ist doch, was bleibt den Menschen am stärksten in Erinnerung? Das sind die tragischen Geschichten", sagt Schäfer. Und davon gab und gibt es auch in Grafing einige - Feuer, Überschwemmung, Krieg, Eisenbahn- und Flugzeugunfälle, Blitz, Sturm und Hagel, auch Mord und, wie zuletzt, Amoklauf.

Schäfer hat die Ausstellung chronologisch gegliedert. Aus der frühen Neuzeit ist wenig überliefert, Bilder von Ringwallanlagen und Pfeilspitzen, die am Schlossberg gefunden wurden, legen Zeugnis ab von den Ungarneinfällen des 10. Jahrhunderts.

Ein "Schicksalsjahr" für Grafing war das Jahr 1632, die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, als die Schweden Grafing in Schutt und Asche legten. Wenige Bauten haben den Furor überlebt, darunter acht Häuser am Rande der Stadt samt Bewohnern, und ein Buch, schwarz von Löschwasserschäden. Auf der von den Überlebenden des "Stechhauses" zum Dank gestifteten Votivtafel ist im Hintergrund das Flammeninferno zu erkennen.

Als 1815 ein Vulkan in Indonesien ausbrach, und die darauf folgende Kälte auch in Grafing Ernten vernichtete, wurden "Hungertaler" ausgegeben. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Feuersbrünste waren zu jener Zeit die häufigste Ursache für Tod und Verderben, oftmals entfacht von heftigen Unwettern. 1773 schlug ein Blitz in die Leonhardikirche ein und traf den Sohn des Mesners, d er gerade am Glockenseil hing, um zu läuten. Wie durch ein Wunder überlebte der den Einschlag. Wer übrigens glaubt, extreme Wetterereignisse gebe es nur heutzutage, sei auf das Jahr 1690 verwiesen: Da registrierte man einen schweren Sturm und ein Erdbeben. Sechsmal war der Markt Grafing im 18. Jahrhundert von Hochwasser betroffen. Grund waren lang anhaltende Regenperioden. Besonders im Jahr 1816 spielte die Witterung (auch) den Grafingern übel mit. Ungewöhnliche Kälte im Sommer führte zu Ernteausfällen. Grund war - damals wusste das niemand - der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora 1815; tonnenweise wurden Asche und Staub in die Atmosphäre geschleudert, die das Sonnenlicht dimmten. 1936 raste ein Hagelsturm über Grafing hinweg und hinterließ nichts als Verwüstung.

In Grafing, wo es mehrere Brauhäuser gab, brach immer wieder auf der Darre, wo das Getreide getrocknet wurde, Feuer aus. So auch 1766 beim Walcherbräu am Markt. Zeuge dieses Feuersturms ist ein Heiliger Florian, Patron gegen Feuersbrünste, der schwere Brandspuren aufweist, aber erhalten blieb. Als zwei Monate später das Blasi-Wirtshaus in Flammen stand, war die Ursache Brandstiftung.

Die schwersten Verwüstungen aber richteten immer wieder Kriege an: Eine dramatische Situation ergab sich um 1800, als sich im Zuge des 2. Koalitionskrieges am Südrand des Marktes die gegnerischen Truppen kampfbereit gegenüberstanden. Auf einer Votivtafel wird berichtet: "Zum Untergang für Gräfing war im letzten Krieg die größt' Gefahr, wenn angefangen hätt' die Schlacht wie man gesagt die letzte Nacht. . ." Eine zumindest wirtschaftliche Katastrophe für die Betroffenen war der Schlagzeilen machende Betrugsfall 1872, da ging die Bank der Adele Spitzeder bankrott. Bürger aus Grafing, die dort ihr Geld deponiert hatten, verloren insgesamt 20 000 Gulden.

Not, Leid und Feuersbrunst: Der Heilige Florian hat 1766 stark angesengt einen Marktbrand überstanden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Viele weitere Unglücksfälle und Schicksalsschläge sind in der Ausstellung dokumentiert: der Einsturz des Wildbräu-Eiskellers 1936 in der Wolfsschlucht, der sechs Arbeiter tötete. Die Nazis nutzten die Totenfeier schamlos für ihre Propaganda. Nach der großen Katastrophe zweier Weltkriege erschütterte ein schweres Zugunglück die Stadt, als 1945 bei Elkofen ein amerikanischer Panzertransportzug ungebremst auf einen liegen gebliebenen Güterzug mit Soldaten, die entlassen werden sollten, auffuhr. 106 Menschen starben.

Aufsehen erregte auch der Absturz eines Düsenjägers 1959 über Dichau. Man erzählt sich, dass damals Franz-Josef Strauß zur Absturzstelle geeilt sei und dabei nicht nur seine Betroffenheit zu erkennen gegeben habe, sondern auch die Tatsache, dass er nicht mehr nüchtern war, erzählt Schäfer. Ein Todesopfer forderte die Explosion des Postamts durch eine lecke Gasleitung 1967. Mit Presseberichten über den Dreifachmord 1993 und den Amoklauf dieses Jahr in Grafing-Bahnhof, bei dem ein Mann getötet und ein weiterer schwer verletzt wurde, endet die Ausstellung - Unglück wird es aber wohl weiterhin geben.

Die Votivtafel wurde 1840 zum Dank für Gottes Hilfe gestiftet, als der Kasperlbräu, heute Wildbräu, in Flammen stand. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eröffnung der Ausstellung ist diesen Donnerstag, 27. Oktober, 19.30 Uhr. Dauer bis 12. Februar. Wie üblich gibt es ein Begleitprogramm. Nächster Termin ist ein Archivstammtisch zum Thema am 25. November um 19.30 Uhr beim Kastenwirt. Geöffnet ist Sonntag 14 bis 16, Donnerstag 18 bis 20 Uhr. Führungen gibt es nach Anmeldung.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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