Grafing:Fünf Becken gegen 1,2 Millionen Kubikmeter

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Grafings Hochwasserschutzkonzept nimmt konkrete Formen an. Bei starken Niederschlägen könnte sogar die Ostumfahrung kontrolliert geflutet werden, damit das Wasser nicht in Wohngebiete vordringt

Von Thorsten Rienth, Grafing

Mehr als zehn Jahre nach dem Start des Grafinger Hochwasserschutzprojekts zeichnet sich nun ein koordiniertes Vorgehen ab. In zusammen fünf Rückhaltebecken im Norden und Westen der Stadt soll ein mögliches Hochwasser abgefangen und dann kontrolliert über Urtel und Wieshamer Bach durch die Stadt nach Süden in die Attel abgeleitet werden. Im Extremfall sieht das sogenannte integrale Hochwasserschutzkonzept sogar eine kontrollierte Überflutung der Grafinger Ostumfahrung vor.

Dieser Extremfall ist ab dem "HQ 20" erreicht, einem Hochwasser, wie es statistisch betrachtet nur alle 20 Jahre einmal vorkommt. Auf 190 Metern wäre die Trasse durch das "Retentionsbecken Engerloh" dann überflutet, bis zu 15 Zentimeter hoch. 13 Stunden später wäre das Wasser durch Rohre abgeflossen, die quer unter den Dämmen der kaum merklich in die Landschaft modellierten Retentionsflächen verlaufen.

Der Mann, der dies zusammen mit einigen Studenten aufgerechnet hat, heißt Georg Schollerer und ist vom Rosenheimer Ingenieurbüro "Roplan". "Die Straße müsste natürlich für diese Zeit gesperrt werden", erklärt er. Mit dem Straßenbauamt sei die Sache abgesprochen. "Die halten das für vertretbar." Glück für Grafing, dass dem so ist. Denn das Rückhaltebecken ist für das neue Konzept essenziell. Zusätzlich sind noch das "Retentionsbecken Grafinger Feld" nordöstlich von Nettelkofen geplant sowie das "Retentionsbecken Pötting" weiter westlich. Zwei weitere potenzielle Becken entlang der Urtel hat die Stadt bereits vor einiger Zeit ausgemacht, "Taglaching-Ost" und "Grafing Bahnhof".

Weil die Einzugsgebiete von Wieshamer Bach und Urtel unterschiedlich sind, liefen auch die Untersuchungen in getrennten Arbeitspaketen. Mit den hydraulischen Berechnungen für die drei Becken im Norden sind die bislang letzten fehlenden Zahlen erhoben. "Wir konzentrieren uns jetzt darauf, diese fünf Becken umzusetzen", sagt Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne). Zusammengerechnet beträgt ihr Volumen etwa 1,2 Millionen Kubikmeter.

Den großflächigen aber flachen Rückhaltebecken liegt eine Art Verzögerungstaktik zugrunde: Sie sollen Wasser auffangen und kontrolliert abgeben, um so Hochwasserspitzen abzufedern. Der Durchmesser der Rohre unter den Dämmen regelt die Abflussmenge. Sie wiederum richtet sich nach der Kapazität der nachfolgenden Bäche. Im Grafinger Fall sind das Seeoner und Wieshamer Bach mit dem Ziegelgraben im Norden, und die Urtel im Westen. Als Attel fließen sie im Grafinger Süden vereint Richtung Inn.

Basis der Berechnungen sind neben den Kapazitäten der Bäche und der genauen Kenntnis der Wassereinzugsgebiete inzwischen verfügbare zentimetergenaue topografische Karten. Erst sie machen es Ingenieuren möglich, verlässliche Prognosen zu treffen. Zum Beispiel, dass beim "HQ 100", dem statistischen hundertjährlichen Hochwasser mit dem "Retentionsbecken Engerloh" im Grafinger Osten ein richtiger See zu sehen wäre. Dass er am Scheitelpunkt 350 Meter lang und 60 Zentimeter tief wäre. Und die gut 260 000 Kubikmeter Wasser nach 39 Stunden durch ein 1 200 Millimeter dickes Rohr mit maximal 4,3 Kubikmetern pro Sekunde wieder abgeflossen wären. Genau so viel, wie der Wieshamer Bach dahinter gerade noch zusätzlich schultern könnte.

"Da ist sogar mit eingerechnet, dass bei einem vollen Becken der Wasserdruck am Rohr größer ist und folglich auch mehr Wasser durchgepresst wird", erklärt Schollerer. Auch ein Quotient für den Klimawandel ist eingerechnet. Forscher prognostizieren in Zukunft mehr Regen für südbayrische Breiten.

Mehr als zehn Jahre waren bis zur Aufstellung des jetzigen Plans vergangen. Weniger, weil jemand trödelte. Sondern weil sich mit fortschreitenden Planungen immer wieder neue Erkenntnisse - etwa zum tatsächlichen Wassereinzugsgebiet - ergaben. Sukzessive mussten sie noch aufgenommen werden.

Schneller dürfte es kaum weitergehen. Die rechtliche und bauliche Umsetzung der Flächen ist zeitaufwendig. Projekte dieser Größenordnung werden üblicherweise über Planfeststellungsverfahren umgesetzt. Obwohl die Dämme der Flächen so in die Landschaft eingefügt werden, dass auch sie weiter bewirtschaftbar sind - und es im Hochwasserfall Entschädigungen gibt - stehen einige Grundstückseigentümer den Plänen skeptisch gegenüber.

Und dann ist da noch die Frage der Finanzierung. Die Rede ist, zwar auf viele Jahre verteilt, von Kosten in Millionenhöhe. Ein Antrag von Stadtrat Heinz Fröhlich (Bündnis für Grafing) zur Aufstellung eines Finanzierungskonzepts liegt bereits im Rathaus.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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