Grafing:Flüchtlinge im Gewerbegebiet

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In Grafing-Schammach will ein Investor eine Unterkunft für 135 Asylbewerber errichten. Eine Änderung des Baurechts macht das möglich - die Gemeinde muss ihre Zustimmung erteilen

Von Thorsten Rienth, Grafing

Im Grafinger Gewerbegebiet soll eine Unterkunft für 135 Flüchtlinge entstehen. Flüchtlingsunterkünfte sind in solchen Gegenden zwar umstritten. Doch selbst wenn die Gremien der Stadt wollten, sind ihnen die Hände gebunden. Im Herbst vergangenen Jahres hatte der Bundestag eine Lockerung des Baurechts beschlossen, um Asylbewerberunterkünfte auch in abgelegenen Gewerbegebieten zu ermöglichen. Nun liegt ein Bauantrag für eine sogenannte Gemeinschaftsunterkunft vor.

"Dieser Bauantrag muss - aufgrund der gesetzlichen Grundlage - positiv beschieden werden", erklärt die Grafinger Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) in einer mit der Tagesordnung zur Bauausschusssitzung am kommenden Dienstag verschickten Mitteilung. Der neue Paragraf im Bundesbaugesetzbuch ordnet die Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbewerbern explizit dem Gemeinwohl zu. Die obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung entfällt.

Der Antrag müsse auch deshalb genehmigt werden, weil die Stadt Grafing in ihrem Bebauungsplan für das Gewerbegebiet Bauten für soziale Zwecke nicht explizit ausgeschlossen hatte. "Aus gutem Grund", wie die Bürgermeisterin klarstellte. Schließlich hätte die Stadt damit die Entwicklungsmöglichkeiten des Gebiets ohne Not und von vorneherein eingeschränkt. Konkret bedeutet die Neuerung im Baugesetzbuch: Liegt die beantragte Unterkunft innerhalb festgelegter Baugrenzen, besteht ein Anspruch auf die Genehmigung durch die jeweilige Gemeinde. Laut Beschlussvorlage ist dies bei dem aktuellen Antrag der Fall. "Der Baukörper mit den Grundmaßen von 16,30 auf 39,45 Metern liegt innerhalb der festgesetzten vorderen und seitlichen Baugrenzen, deren Breite von 20 Metern nicht ausgenutzt wird", heißt es darin. "Die Wandhöhe beträgt 8,93 Meter und bleibt unter der zulässigen Wandhöhe von maximal zwölf Metern." Neben den Schlafplätzen sind in dem Gebäude auch Gemeinschafts- und Büroräume vorgesehen.

Errichten möchte der Investor den Bau auf einem Grundstück, das nicht der Stadt Grafing gehört. Es liegt direkt neben der Bahnlinie München-Rosenheim und ist Luftlinie etwa zwei Kilometer vom Grafinger Marktplatz entfernt. Wegen ihrer Größe ist die Unterkunft der Regierung von Oberbayern zugeordnet, diese ist damit auch direkt für die Betreuung, etwa mit Hausmeistern und Sozialpädagogen, zuständig.

Organisationen wie "Pro Asyl" warnen vor derart großen Gemeinschaftsunterkünften außerhalb von Ortschaften. Das behindere die Integration der Flüchtlinge. Es sei außerdem zu befürchten, dass aus Notlösungen bald Dauerlösungen würden. Der bayerische Flüchtlingsrat warnte ebenfalls vor der Gefahr einer "Desintegration". Zudem hätten traumatisierte Flüchtlinge in derartigen Unterkünften keine Orte der Ruhe und Privatsphäre. Immer wieder fällt in dieser Debatte das Adjektiv "bedarfsgerecht". Vor der Lockerung des Braurechts war der Gesetzgeber stets der Ansicht, dass die Unterbringung von Asylsuchenden in Gewerbegebieten und sogenannten Stadtaußenbereichen nicht "bedarfsgerecht" sei. Die Interpretation des Wortes ändert sich offenbar mit den größer werdenden Flüchtlingsströmen.

Einen festen Zeitpunkt für den Baubeginn der Unterkunft gibt es noch nicht. Beachtet der Investor allerdings die Formalitäten, dürfte das Genehmigungsprozedere übers Landratsamt und die Regierung von Oberbayern zügig vorschreiten. Ist der Bau voll belegt, würden die 135 neuen Asylbewerber die bisherige Zahl von 119 Flüchtlingen im Grafing mehr als verdoppeln.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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