Grafing:Ende einer Ära

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Der von Fanausschreitungen geplagte Eishockeyverein EHC Klostersee hat 14 Jahre nach seinem Aufstieg keine Lizenz mehr für die Oberliga beantragt

Von Korbinian Eisenberger und Thorsten Rienth, Grafing

In Sonthofen lief die letzte Minute als EHC-Kapitän Gert Acker den Puck zum 5:3 im Tor versenkte. Es war die letzte Minute am letzten Spieltag - der Schlusspunkt einer schwierigen Eishockey-Saison in der dritthöchsten Spielklasse. Seit Ende dieser Woche ist klar, dass Ackers Tor vom 28. Februar 2016 auch der vorerst letzte Treffer einer Grafinger Oberliga-Mannschaft war. Der EHC Klostersee hat sein Team aus der Oberliga Süd wegen der "derzeitigen wirtschaftlichen Situation" zurückgezogen, wie der Verein am Donnerstag mitteilte. Für die Grafinger, die zeitweise sogar in der zweiten Liga spielten, endet damit eine 60 Jahre lange Ära.

Dass der Landkreis Ebersberg sein sportliches Aushängeschild verliert, hatte sich in den vergangenen Wochen angedeutet. Nachdem immer wieder Negativschlagzeilen über eine Gruppe Krawallmacher die Runde machten, waren Anfang des Jahres erste Sponsoren des EHC abgesprungen - der Verein kritisierte auch die mediale Berichterstattung. Mittlerweile habe der Verein 30 Prozent seiner Sponsorengelder eingebüßt, sagte EHC-Vorstand Alexander Stolberg der SZ am Freitag. "Uns fehlen 70 000 Euro." Um eine Insolvenz zu verhindern, hat der Verein erstmals seit dem Aufstieg vor 14 Jahren keine Oberliga-Lizenz beantragt. Zur neuen Saison wird der EHC - wie in solchen Fällen üblich - in die Bezirksliga zurückgestuft.

Im Netz ist die Anteilnahme groß. Vereine aus ganz Deutschland reagierten mit Bestürzung und Wut auf die Pressemitteilung, die der EHC am Donnerstag über Facebook postete. Ligakonkurrent Weiden meldete sich mit einem Posting: Der Rückzug der Grafinger sei eine "Hiobsbotschaft". Der EC Peiting, Oberligameister von 2013, erinnert an sportliche Glanzzeiten. "Nicht lange ist es her, da war der EHC Vizemeister", heißt es. Fans aus den Eishockey-Städten Selb, Bayreuth und Landshut drückten ihr Mitgefühl aus. "Sehr schade, ich war gerne bei euch zu Besuch", schreibt ein Facebook-Nutzer. "Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich manches Spiel auch wegen der Krawallmacher gemieden habe", schreibt ein anderer.

Das Aus des Grafinger Oberliga-Eishockeys steht am Ende einer Serie von Ausschreitungen, die vor drei Jahren begann. Mit Beginn der Saison 2013/2014 war im Grafinger Stadion immer wieder eine Gruppe durch Pöbeleien aufgefallen. Nachdem im Februar 2014 ein Gästebus mit Steinen beworfen worden war, rückte zum darauffolgenden Heimspiel ein Großaufgebot der Polizei an. Fortan gab es immer wieder Probleme mit Randalierern, sie pöbelten Gästeanhänger an und verschreckten Zuschauer. In den vergangenen beiden Jahren verzeichneten die Grafinger einen Zuschauerschwund, den Vorstand Stolberg weniger auf die jüngste sportliche Talfahrt als auf die Randale zurückführt. Seinen Beobachtungen nach handelt es sich um eine Gruppe von zehn bis 15 Personen. Die Polizei ordnet sie der Münchner Hooliganszene zu, womöglich Fußball-Rowdys, denen in Münchner Stadien der Zugang bereits verwehrt ist.

In Grafing konnten die Männer bis heute weder vom Verein, noch von der Polizei identifiziert werden, was dazu führte, dass sich im Ligabetrieb die Wahrnehmung verschob. Der EHC Klostersee, der bis dato den Ruf eines wirtschaftlich solide geführten Traditionsklubs genossen hatte, wurde plötzlich als Problemverein wahrgenommen. Spielleiter Oliver Seeliger, der die beiden Oberligen Nord und Süd untersucht, hatte den Grafingern nach neuerlichen Ausschreitungen Ende Februar 2016 attestiert, dass die Fanprobleme nirgendwo sonst so gravierend seien. Kurz darauf kündigten mehrere Sponsoren ihren Rückzug an.

Die Stadt Grafing und der Landkreis bezuschussen den EHC hingegen weiterhin. Jährlich teilen sich beide die 180 000 Euro für den Stadionbetrieb und bis zu 100 000 Euro für besondere Investitionen, wie etwa die neue Einhausung der Eismaschine 2015. Beide Zuschüsse werden Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) zufolge weiterhin unabhängig von der Ligazugehörigkeit der Ersten Mannschaft bezahlt. Würde der Verein pleite gehen, wäre es über ein kompliziertes Verfahren möglich, dass die Stadt künftig für Unterhalts- und Sicherheitskosten im Stadion aufkommen müsste. Obermayr selbst stärkt dem Verein demonstrativ den Rücken: "Die Erste Mannschaft bleibt weiter Vorbild für die Kinder und Jugendlichen", sagt die Bürgermeisterin. Der EHC sei nach wie vor wichtiger Teil der Grafinger Identität.

Stolberg rechnet dennoch mit einem "weiteren Rückgang der Einnahmen", schon allein, weil die Bezirksliga weniger Sponsoren und Zuschauer locken könnte. Wegen "ungeplanter Kosten für Sicherheitsmaßnahmen und dem Zuschauerrückgang" habe der Verein zudem Defizite aus der vergangenen Saison aufzuarbeiten. Die Konzentration, so Stolberg, werde jetzt vermehrt den etwa 200 Nachwuchs-Eishockeyspielern gelten. "Wie wollen die Jugendarbeit noch stärker fördern".

Welche Spieler aus dem Team um Kapitän Gert Acker dem Verein treu bleiben, könne er derzeit nicht sagen, so Stolberg. Die meisten wären gerne geblieben, sagt er. Die Spieler hätten sogar auf einen Teil ihrer Aufwandsentschädigung verzichtet. Als der Rückzug bekannt wurde, seien alle schockiert gewesen.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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