Grafing:Ein Produkt ihrer Zeit

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Der Grafinger Ökumene-Abend thematisiert die Auslegung der Bibel und widerspricht fundamentalistischen Ansätzen

Von Thorsten Rienth, Grafing

Es ist die Auslegungsfrage, an der sich die Geister scheiden: Was ist die Bibel nun, Gotteswort oder Menschenwort? Die Antwort des Theologie-Professors Gerd Häfner (LMU) ist auch deshalb so interessant, weil sie die Schwächen einer fundamentalistischen Bibelauslegung offenbart. Beim jüngsten Grafinger Ökumene-Abend hat er seine Argumentation ausgeführt. Sie trotzt so manch widersprüchlicher Darstellung im Neuen Testament und ist am Ende ziemlich versöhnlich - nur eben nicht gegenüber den Fundamentalisten.

"Gotteswort oder Menschenwort - wie liest man die Bibel richtig?", betitelten die Organisatoren um Adalbert Mischlewski den Ökumene-Abend. "Es ist ein Titel, der durch die Gegenüberstellung provoziert", kommentierte Häfner. "Wenn wir die Bibel als bloßes Menschenwort betrachten, ist die Urkunde des Christentums in Frage gestellt." Mache man sie zum direkt zugänglichen Gotteswort, sei dies aus wissenschaftlicher Perspektive kaum haltbar. Häfner hätte wohl kaum eine universitäre Karriere eingeschlagen, würde er ein solches Dilemma nicht als Ansporn betrachten.

Die wissenschaftliche Perspektive beginnt bei Häfner mit der geschichtlichen Verortung. Alleine schon der Paulusbriefe wegen könne die Bibel gar kein komplettes Gotteswort sein, argumentierte er. "Die Briefe sind ein Kommunikationsmittel. Die Verhältnisse vor Ort nehmen also Einfluss auf den Inhalt der Briefe." Wäre anders gefragt worden, stünde auch anderes in den Kapiteln. Obendrein seien die Briefe nicht im Bewusstsein geschrieben worden, dass sie später einmal zu einer heiligen Schrift gehören könnten. Mit der Vorstellung der Verbalinspiration, dass Texte also Wort für Wort vom Geiste Gottes eingegeben sind, lasse sich das kaum vereinbaren.

Auch die Entstehung des Neuen Testaments als Sammlung von 27 Schriften ist Häfner zufolge das Ergebnis eines geschichtlichen Vorgangs: vier Evangelien, unterschiedliche Endzeiterwartungen, ihr teils gegensätzliches Verhältnis zu Staat und Gesellschaft. "Wenn solch eine Vielfalt maßgebliches Ursprungszeugnis ist, dann lässt sich der Inhalt der einzelnen Schriften nicht einfach mit dem Gotteswort gleichsetzen." Gott widerspräche sich selbst.

Trotz geschichtlicher Verortung und eines differenzierten Neuen Testaments ist die Sache weniger klar, als sie scheint. Die Interpretation der Bibel sei in der Geschichte eben immer auch eine Machtfrage. Und diejenige Strömung, die in der Kirche über Jahrhunderte die Macht hatte, proklamierte standhaft die Irrtumslosigkeit der Schrift. Nicht aus bösem Willen, wie Häfner betonte. Sehr wohl gebe es "unaufgebbare zentrale Inhalte" wie etwa das Leben nach dem Tod.

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe sich die kirchliche Interpretation dann aber gewandelt. Die Urheberschaft Gottes werde nicht länger im Sinne eines Diktats verstanden, nachdem der Autor einer biblischen Schrift nur Schreibwerkzeug des Geistes Gottes wäre. Stattdessen betone sie den menschlichen Anteil und damit eben auch die Einbindung in eine bestimmte geschichtliche Situation. "Unterm Strich wurde dort die Tür aufgemacht, die Bibel auch mit historischen Methoden zu analysieren", schlussfolgerte Häfner. Nach eben dieser Analyse zog der Professor eine klare Grenze: Kernelemente der Bibel - etwa die Heilsbotschaft - seien Gotteswort, unverrückbar und in der Aussage auch nicht interpretierbar.

Der größere Rest der Bibel sei ein Produkt seiner Zeit, aus dem jede neue Generation wieder ihre neuen Schlüsse ziehen müsse. Und dieser nicht immer bequemen Aufteilung kann Häfner durchaus Positives abgewinnen: "Vielleicht ist es ja gerade richtig, dass wir nicht zur Verfügung haben, was alles nun genau bedeutet." Doch sollte das der große Sinn der Heiligen Schrift sein, dann stünde sie ausgerechnet jenen entgegen, die sie am unmittelbarsten auslegen.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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