Grafing:Ein Mann der Weltgeschichte

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Grafing ernennt den Botschafter a.D. Hermann Huber zum Ehrenbürger.

Von Thorsten Rienth, Grafing

Es gibt dieses berühmte Video, in dem der damalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher im Spätsommer 1989 auf dem Balkon der Deutschen Botschaft in Prag steht. Unten warten tausend DDR-Flüchtlinge, denen Genscher mitteilen will, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen können. Viel kann er nicht sagen, seine Worte gehen im hundertfachen Jubel unter. An Genschers Seite, fast im Hintergrund, steht ein kleinerer Mann, der in den Verhandlungen um die Ausreise eine Schlüsselrolle spielte: der damalige bundesdeutsche Botschafter in Prag, Hermann Huber. Seit Samstag ist der Grafinger Ehrenbürger seiner Heimatstadt.

"Wir verleihen Ihnen die Auszeichnung, weil Sie das Wohl unserer Stadt und das Ansehen unserer Stadt gemehrt haben und wir Grafinger sehr stolz darauf sind, dass Sie einer von uns sind", sagte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) bei der Feier, die auf Wunsch der Familie Huber in kleinem Rahmen stattfand. "Sie haben mit Ihrer Bereitschaft, erst Tausende von Flüchtlingen zu versorgen und Ihnen dann ihre Ausreise zu ermöglichen, maßgeblich zur Erosion des alten Ost-West-Gefüges, zum Fall der Mauer, beigetragen." Ruhig, aber wirkungsvoll, das sei stets die Art des inzwischen 85-jährigen Huber gewesen.

Huber ist 15, als die Amerikaner in seiner Heimatstadt einmarschieren und für die Grafinger den Zweiten Weltkrieg beenden. Das Gymnasium besucht er in München und Traunstein. Nach dem Jurastudium in Passau, München und Lausanne gehört er in der jungen Bundesrepublik zu den ersten, die sich in den harten Aufnahmebedingungen des Auswärtigen Amtes durchsetzen und die Diplomatenlaufbahn einschlagen.

Seine Stationen führen den Vater dreier Töchter und seine Frau Jaqueline über das Saar-Referat nach Zürich, Reykjavík, Rom, Kongo, Bonn, Prag, Mexiko, Moskau, wieder nach Prag. Dort steht er plötzlich im Mittelpunkt der Weltgeschichte. Mehr noch: "Mit Ihnen hat Grafing einen Bürger, der am Rad der Geschichte gedreht hat", hatte der frühere Bürgermeister Rudolf Heiler an Hubers 80. Geburtstag gesagt.

Es gehört zum Selbstverständnis des Diplomaten a.D., sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Die wahren Helden beim Fall des Eisernen Vorhangs seien nicht Diplomaten oder Politiker gewesen. Der Respekt gebühre "den Menschen, die damals ihre Heimat verlassen haben, denen die Freiheit mehr bedeutet hat als ein sicherer Arbeitsplatz, und die ihren Kindern ersparen wollten, was sie selbst ertragen mussten", sagte Huber damals. Ein Understatement, das am Samstag die Bürgermeisterin aufgriff: "Vielleicht sollten wir Politiker uns manchmal dieser Tugenden des leisen Tuns erinnern."

Huber ist Europäer durch und durch. Nicht nur, dass die meisten seiner diplomatischen Stationen auf diesem Kontinent lagen - auf Prag folgt etwa Madrid. Die europäische Gemeinschaft steht bei ihm auch im Mittelpunkt der politischen Reflexion. "Was für die Franzosen die Französische Revolution ist, könnten für uns die Freiheitsziele der Menschen im früheren Ostdeutschland sein", sagte er einmal. "Das wäre doch ein schöner Mythos - und könnte auch unsere Rolle in Europa definieren."

Nach Jahrzehnten im Ausland kehrt Huber im Jahr 1995 als Pensionär nach Grafing zurück. Neben Adalbert Mischlewski ist er seit Samstag der zweite Ehrenbürger der Stadt. Man könnte sagen, es liege in der Familie. Auch sein Vater, Franz Xaver Huber, von 1952 bis 1966 Grafinger Bürgermeister, wurde später zum Ehrenbürger ernannt.

© SZ vom 02.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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