Grafing:Das Auge am Arm

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Theresa Seidl, Anastasia Kaloudi und Ioanna Kampylafka (von links) testen ihr Gerät im Rewe-Markt. (Foto: Christian Endt)

Startup testet in Grafing Einkaufs-Kamera für Sehbehinderte

Von Carolin Schneider, Grafing

Wer eigentlich Äpfel kaufen will - und dann Mangos in den Korb legt, bei dem mag man von einem typischen Fall von Verwirrtheit sprechen. Für manche Menschen ist so etwas aber auch dann Realität, wenn sie völlig klar im Kopf sind. Etwa dann wenn jemand am grauen Star oder einer anderen Seheinschränkung leidet und nur Farben und Umrisse sieht. Da sehen Apfel und Mango ganz schnell mal zum Verwechseln ähnlich aus.

Um Sehbehinderten den Einkauf zu erleichtern, hat sich nun ein vierköpfiges, internationales Team Gedanken zu einem digitalen Einkaufshelfer gemacht. Die Entwicklungsphase ist bereits fortgeschritten, jetzt geht es darum, das Produkt auszutesten. Dafür arbeitet das Team mit Sehbehinderten oder anderen Freiwilligen, die eine Brille aufsetzen, um eine Sehbeeinträchtigung zu simulieren. Für einen der Tests waren die Entwickler am Mittwoch im Grafinger Rewe-Supermarkt. Mit Laptop und anderen technischen Geräten standen sie in der Obstabteilung, um ihre Entwicklung im Echtfall zu testen.

Bei ihrem Produkt handelt es sich um ein Armband, an dem eine kleine Kamera befestigt ist. Mit dem Armband nähert sich der Käufer etwa dem Obststand im Supermarkt. Über einen Ohrstecker bekommt er dann gesagt, welche Fruchtsorte die Kamera gerade im Visier hat. Mit einer kleinen Handbewegung erkennt das Armband, dass der Nutzer weitere Informationen zum Produkt will und nennt Details wie Preis und Menge. So kann jeder Artikel gescannt werden - solange, bis der Käufer den richtigen gefunden hat.

Die Idee entwickelt hat das Team in der Münchner Digital Product School. Dort können Studenten, Absolventen oder Kleingruppen von Firmen innerhalb von drei Monaten eine Gründungsidee in die Tat umsetzen. Sie bekommen Beratung und Expertenvorträge und können so ein Projekt realisieren. Ob sie danach selbständig daran weiterarbeiten, bleibt ihnen überlassen. Erst seit Mai gibt es die Digital Product School, in zwei Wochen ist die Bearbeitungszeit der ersten Teilnehmer vorbei. Eine der ersten Gruppen ist auch das Team, das sich um Einkaufshelfer für Sehbehinderte kümmert. Die Anfangsidee sei gewesen, eine Hilfe für Blinde zu entwerfen. Doch bei Gesprächen mit der Zielgruppe haben die Entwickler gemerkt, dass Blinde gerne menschliche Einkaufshelfer haben, vor allem der sozialen Kontakte wegen.

"Es ist normal, dass man von seiner Anfangsidee abkommt", sagt Steffen Kastner von der Digital Product School, er kommt aus Grafing und unterstützt die Teams bei ihren Projekten. Die Entwickler kamen so auf die Idee, die Zielgruppe auf Sehbehinderte zu konzentrieren - für eine unauffällige und praktische Hilfe bei einem Alltagsproblem. "Wichtig war uns, dass die Menschen trotzdem beide Hände fürs Einkaufen frei haben", sagt Theresa Seidl, die sich um das Produktmanagement kümmert. "Deshalb das Armband und kein Scanner, den man in der Hand halten muss."

Im Team hat jeder eine spezielle Aufgabe: Softwareentwicklung, Interaktionsdesign, künstliche Intelligenz und Produktmanagement. Zusammen haben sie sich lange überlegt, was die richtige Herangehensweise ist. Den Gedanken, mit dem Barcode zu arbeiten, verwarfen sie bald wieder. "Hinter einem Barcode stecken viel zu viele Informationen, die eigentlich nicht relevant sind", so Seidl. Etwa die Inhaltsstoffe eines Produktes. Deshalb arbeiten sie mit Bilderkennung. Die künstliche Intelligenz hinter der Kamera ist so programmiert, dass sie genau erkennt, ob sie Mangos oder Äpfel vor sich hat. Und nicht nur das: Sie weiß außerdem auch, ob es sich dabei um Braeburn oder Granny Smith handelt.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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