Sonnenhauser Alpenspektakel:Ohrenschmaus mit Schlachtplatte

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Auf Gut Sonnenhausen gerät das erste Alpenspektakel zum kulturellen Gipfelsturm. Die Verwurstung eines Schweins gehört genauso dazu wie Musik-Acts aus den Bergen

Von Rita Baedeker, Glonn

Die Todeszelle ist mit weichem Stroh gepolstert, doch das rote, auf den Rücken des Schweins gezeichnete Kreuz sagt alles. Noch läuft die Sau grunzend in ihrem Verschlag umher, immer wieder schaut sie in Richtung der wenige Meter entfernten Schlachtbank, auf der gerade das Blut einer Kollegin in Strömen fließt. Da senkt sich eine Hand auf ihren Kopf. Zu der Hand gehört ein Mann, und der sagt: "Das willst du gar nicht sehen!" Das Schwein schließt ergeben die Augen, genießt die Liebkosung, das Grunzen wird leiser ...

Sehr viele Menschen, die am Samstag zum ersten "Alpenspektakel" des Voralpenlandes nach Sonnenhausen gekommen sind, wollen dagegen genau das: ein Schlachtfest und einiges mehr erleben. Von allen Seiten drängen sich die Besucher um die Richtstätte vor dem Kochstall. Hausherr Georg Schweisfurth mit Strohhut greift zum Tranchiermesser, Sternekoch Stefan Marquard mit Kopftuch, Bart und Pferdeschwanz und mehrere Metzger der Herrmannsdorfer Landwerkstätten machen sich daran, die Sau zu zerlegen. Bevor sie beginnen, fragt Schweisfurth in die Runde: "Wie geht's euch, alles okay?" Ist ja kein alltägliches Schauspiel. Gerade wendet sich ein junges Mädchen im Dirndl kopfschüttelnd ab und läuft davon. Einige verfolgen die Szene mit Ehrfurcht, andere mit einer Mischung aus Lust und Schrecken.

Mittendrin: die Schlachtung eines Schweins. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf den Herdplatten des Kochstalls stehen riesige Töpfe, darin simmern auf kleiner Flamme Kraut und Kartoffelknödel, es duftet nach Thymian, Knoblauch und Salbei. In einer Metallschüssel stockt das aufgefangene Blut, ein glänzender dickflüssiger Brei. "Der kommt in die Blutwurst", sagt einer der jungen Männer vom Küchenpersonal. Es sei die erste Schlachtung, bei der er dabei ist, berichtet er. "Aber hilft ja nichts. Wer Fleisch isst, muss das aushalten können."

Der Tod eines Tieres ist keine Actionkunst

Einem feierlichen Requiem gleich begleiten die schwebenden Keyboard-Klänge von Volkmar Müller und die Singstimme von Vanessa Vieto das Geschehen. Ab und zu schlägt Müller einen Klöppel gegen ein Arrangement riesiger metallener Industrie-Kochlöffel, die wie Glocken klingen. Todesglocken? "Das ist Abschiedsmusik", sagt Müller, "aber man muss deshalb nicht traurig sein." Seine Partnerin, die dazu einen Gesang ohne Worte anstimmt, sagt: "Eine Schlachtung ist etwas Gewaltsames und Dramatisches, das wollen wir zurückhaltend begleiten." So ungewöhnlich die Performance ist, sie verleiht dem Geschehen Würde. Dass der Tod eines Tiers keine Actionkunst, keine Show ist, macht die Musik ebenso deutlich wie die handwerkliche Professionalität der Köche und Metzger. Gerade setzt Schweisfurth einen tiefen Schnitt, holt Gedärme, Leber, Herz und Lunge heraus.

Alpenländische Musik gab es ebenfalls zu hören, zum Beispiel von Matthias Schriefel, Johannes Bär und Tamara Lukasheva. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Bevor jedoch das erste knusprige Bratenstück auf dem Teller landet, machen sich gut zwanzig Besucher auf zum Jodelworkshop von Barbara Lexa. Denn was wäre ein Alpenspektakel ohne Jodeln? Die Alpen sind an diesem Tag übrigens die ersten Gäste, zumindest sind sie dem Föhn sei Dank optisch näher gerückt und liegen im graublauen Dunst.

Die Teilnehmer lernen, dass in den Bergen und anderswo auf der Welt nicht gejodelt wurde, um Touristen zu bespaßen, sondern um sich über weite Distanzen hinweg zu verständigen und um der Lebensfreude Ausdruck zu verleihen. Sie lernen, dass es eine Brust- und eine Kopfstimme gibt, und wie man diese miteinander verbindet. Ganz einfach: ein tiefes "La" mit tüchtig Vibration im Brustkorb raufziehen in die Höhe. Oder ganz laut "he" rufen, so als wolle man einem Dieb Beine machen.

Wenn man dann an dieses "he" ein sehr hohes "i" anschließt, dann hat man den ersten Übungsjodler geschafft, sagt Lexa. Den Moment des Übergangs nennt sie "Schnackler". Einige schaffen das auf Anhieb, bei anderen endet der Versuch in schallendem Gelächter. Doch nun wird ernstlich gejodelt. Lexa stimmt auf dem Akkordeon das Lied "Droben auf der roten Wand" an - und nach jeder Liedzeile folgt "Ho-la-rä-i-o-dl-di" - oder so ähnlich.

"Genussreise durch die Alpen" lautet auch das kulinarische Motto des Festivals. Etwa alle sechzig Minuten holt der Bäcker frische Laibe aus seinem mobilen Ofen. Bei Braten, Kuchen, Kesselfleisch, Blut-, Leberwürsten und frisch gezapftem Bier machen es sich die Besucher an den Biertischen, auf Liegestühlen und Bänken gemütlich. Am Wegesrand blühen die letzten Rosen, Kinder klauben Äpfel, lernen Filzen und beobachten die Musiker, die auf dem Heuwagen bullige Instrumente wie Tuba und Alphorn aufbauen.

Gemütliches Ambiente: ein Stimmungsbild vom Gutshof. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sängerin Stefanie Boltz hat das Fest konzipiert

Für den musikalischen Teil hat die Sängerin Stefanie Boltz, die das Festival konzipiert hat, Künstler nach Sonnenhausen geholt. Diese sind zwar, wie etwa die Unterbiberger Hofmusik, tief in der Tradition ihrer Heimat Bayern, Schweiz und Österreich verwurzelt, entwickeln aber aus diesem - noch hörbaren - Erbe neue Soundexperimente und erweitern das Klangspektrum, mal archaisch, mal hochvirtuos, komödiantisch, aber auf höchstem Niveau.

Es sind Künstler wie die Weltmeister des Blechs und des Alphorns, Matthias Schriefel und Johannes Bär. Dazu Tamara Lukasheva aus der Ukraine, die im Opernhaus von Odessa gesungen hat, bevor sie das Fach wechselte, und hier mit virtuoser Mouth-Percussion und jazzigen Jodlern den Bläsern Paroli und ein faszinierendes Echo bietet. Schriefl, ein Allgäuer, spielt mal Trompete und Horn gleichzeitig, mal entlockt er einem rosa Gummischwein quäkende Töne, er parodiert hinreißend Herbert Grönemeyer und lässt auf unnachahmlich komische Weise die Allgäuer Volksmusik aufleben.

Einen Jodelworkshop bot Barbara Lexa an. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Heuwagen mitten auf der Schafweide ist allerdings eine zugige Bühne, immer wieder weht es die Notenblätter weg. Die Lust an Parodie und Ironie, am Klang der Berge und am Blues begeistert die -im Wortsinn - Zaungäste ebenso wie das Duo Christian Zehnder und Barbara Schirmer, auch sie Vertreter der neuen alpinen Musik. Mit Jodeln, Obertongesang und Hackbrett definieren sie ihr Erbe neu, gefühlvoll bis finster, komisch und poetisch.

Die Idee zu dem drei Tage währenden Alpenspektakel hatte Stefanie Boltz anlässlich des ebenfalls von ihr konzipierten Alpenjazz- Festivals am Achensee. Im Dirndl und mit Blütenkranz im Haar kümmert sie sich um Musiker und Gäste. Hier in Sonnenhausen hat sie vor zwei Jahren eine kleine feine Konzertreihe etabliert. "Da ich als Sängerin viele Spielorte kenne, habe ich einen Blick für Plätze, die geeignet sind für ein neues Format."

Hausherr Georg Schweisfurth spielt selber Alphorn

Dass das Alpenfestival nach Sonnenhausen kam, habe aber auch damit zu tun, dass Georg Schweisfurth, der Alphorn bläst, samt seinem Musik-Kollektiv am Achensee auftreten wollte. Boltz fand jedoch, das passe dort nicht so gut zur eher vornehmen Location. "Also sagte ich zu ihm: Wir machen's hier !" Und hätte es nicht besser treffen können. Es ist ihr und allen Beteiligten gelungen, in dieser verträumten Luxus-Einöde ein ebenso unverkrampftes wie hochwertiges Festival auf die Beine zu stellen, das einfach nur Freude bereitet.

Die Schafe übrigens, sie wurden auf eine Nachbarweide ausquartiert. Nun stehen sie still da und schauen in die Richtung, aus der die Musik kommt. Gerade spielt der Vorarlberger Johannes Bär eine wunderschöne Alphornweise. Es ist ein schöner, ein friedlicher Moment, ein Moment, wie man ihn zuweilen auf einem Berggipfel erleben kann. Von fern hört man auch das Schwein grunzen. Noch mal Schwein gehabt! Bange Frage an den Metzger: "Darf es am Leben bleiben?" Die Antwort: "Es hat noch eine Schonfrist bis ..." Aber ach, wer will das schon so genau wissen!

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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