Glonn:Musik für Poeten

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Für Tom Reinbrecht, hier mit Kontrabassist Peter Cudek, schafft im Duo mehrdimensionale Klangräume. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Saxofonist Tom Reinbrecht und seine Mitmusiker bringen verblüffende Jazz-Dimensionen nach Gut Sonnenhausen

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Zugegeben, den Einzug der Jazzcombo aus dem hinteren Raum des Konzertsaals unter Abspielen einer Melodie, die jeder Karawanserei zur Ehre gereicht - das könnte man auch für affektiert halten. Der Gedanke drängt sich auf: Ach, du liebes Bisschen, sollen sie doch Musik machen und das Theater den Schauspielern überlassen. Wenn's blöd läuft, kann ein solcher Auftakt den ganzen Abend ruinieren.

Am Sonntag auf Gut Sonnenhausen ist's gut gelaufen. Denn schon bei den ersten Takten des Ensembles um den Saxofonisten Tom Reinbrecht geschah etwas für Jazzkonzerte Ungewöhnliches. Eine sofortige und unmittelbare Umarmung des Publikums durch die Musik. Das übliche Einstimmen auf Stil und Rhythmus der Band entfiel, weil sie so präsent war, so normal, so unaufdringlich, als wär's eine Hausmusik unter Freunden.

Dabei hatte Reinbrecht "Anspruch" mitgebracht. "The Duo" war das Konzert betitelt, entsprechend der jüngsten CD des Künstlers, und sollte das Publikum hören lassen, wie innerhalb eines (anfänglichen) Quartetts und (gelegentlichen) Quintetts diverse musikalische Zweisamkeiten auf- und wieder ableben und so ein Hörerlebnis der eigenen Art schaffen. Ui, spannend! Wie die Musiker das wohl anstellen würden?

Der Verdacht, es könnten die üblichen Solo-Improvisationen einfach durch Duos ersetzt werden, zerschlug sich schnell. Für Reinbrecht, der seine Kompositionen und Arrangements häufig zusammen mit Stefan Noelle (Perkussion) entwickelt, ist "2" nicht einfach nur die Addition von eins und eins. Er multipliziert auch nicht nur die möglichen Varianten. Er potenziert und schafft dadurch mehrdimensionale Klangräume, die sich so weit ausdehnen, dass die Zuhörer in ihnen aufgehen. Weshalb auch die schlichte Einzugsmusik aus Saxofon und arabischer Rahmentrommel in ihrer Schlichtheit schon Gehör und Gedanken umfasste.

Wie kunstvoll sich so eine Klangpotenz entwickelt, zeigte sich, nebenher und unaufdringlich, beim Kontrabassisten Peter Cudek, der das, was er den Saiten seines Instruments entzupfte, munter und herzhaft singend anreicherte: "Dadida, dadidadab, dedededeb." Eine Spielart, die Noelle am Schlagzeug ebenfalls fröhlich einbrachte, weshalb das Duo der beiden unversehens zum Duo hoch zwei mutierte. Welche Freude in den restlos besetzten Reihen des Zuhörerraums, glucksende Freude gar.

Doch trotz solcher Extravaganzen war dieses Konzert keines im, Stil von l'art pour l'art. Dieses Ensemble überzeugte schließlich auch mit tanzbaren Melodien wie einem seidenschaleleganten "Este Seu Olhar" des Brasilianers Antonio Carlos Jobim oder einem "Autumn Leaves", bei dem die goldfarbenen Notenblätter scheinbar berührungslos über die Oberfläche des Trommelfells gleiten. Wer bei einer solchen Musik nicht zum Poeten wird - wann dann? Zumal mit dem Gitarristen und Sänger Paulo Alves genau ein solcher Poet die schon häufig gelobte lyrische Kraft der Reinbrechtschen Arrangements zur Vollkommenheit erhebt. Da wird keine Abendmesse gelesen, das ist ein Hochamt.

Wobei: Der Schlussakkord gebührt der Pianistin Andrea Hermenau. Überzeugte ihr Bandleader schon mit einem Groove aus der Tiefe seines Herzens, setzte sie mit staunenswerter Sicherheit genau immer dann einen so markanten Kontrast, dass einem der Atem stockte. Waren die "Duos" an anderen Stellen des Konzerts mitunter erwartbar, löckten ihre subtilen Interpretationen der musikalischen Zweisamkeit so wider den Stachel, dass man süchtig danach werden möchte. Große Klasse, großer Applaus.

© SZ vom 25.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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