Glonn:"Man sieht soviel Elend"

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"Blick aus meinem Fenster" nannte Joseph Schmitt die von ihm gezeichnete Skizze aus dem südrussischen Dorf Nowotrojizke im Mai 1943. (Foto: privat)

Der Glonner Josef Schmitt hat Feldpostbriefe seines Vaters aus dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht

Von Rita Baedeker, Glonn

Es ist jener kurze Satz, der in Zeiten des Krieges für Momente Angst und Kummer vertreibt. Es ist jener Satz, der hoffen lässt, dass Tod und Terror irgendwann enden und alles gut wird - auch wenn nichts bleibt als Schuld und die nackte Existenz. Der Satz heißt: "Bin noch am Leben!" Josef Schmitt aus Glonn hat seinem im Februar erschienenen Buch mit gesammelten Feldpostbriefen, Karten und Skizzen seines Vaters Joseph Schmitt aus den Jahren 1941 bis 1945 diesen Hoffnung atmenden Titel gegeben. Am Samstag, 12. März, liest er daraus vor, von 16 Uhr an in der Galerie der Klosterschule Glonn.

Schmitts Vater, ein studierter Theologe, kehrte im Dezember 1945 heim. Er hatte die Schlacht von Stalingrad erlebt, zweimal wurde er verwundet. In Hunderten Briefen an seine Frau Susanna schilderte er fast täglich seine Eindrücke und Erlebnisse an der Ostfront. Die Antwortbriefe seiner Frau, so der Sohn, sind verschollen. Rund 700 Briefe des Vaters aber sind erhalten, 435 davon sind in dem Buch abgedruckt, zum Teil hat der Sohn sie behutsam kommentiert.

Josef Schmitt junior möchte mit der Veröffentlichung einen Beitrag zur jüngeren deutschen Geschichte leisten, einen Beitrag nicht aus Sicht der Wissenschaft und der Politik, sondern aus der Perspektive des Soldaten, der versucht zu überleben. "Ich wollte den vielen stummen Nachgeborenen eine Stimme geben, damit die schrecklichen Erinnerungen an diesen Krieg nicht verblassen", sagt Schmitt. Die Briefe seines Vaters seien ein Beispiel dafür, wie sich die bürgerliche Mittelschicht von der Nazi-Propaganda hat fangen lassen. "Manche Bemerkungen zeigen, dass mein Vater trotz seiner christlichen Überzeugung nicht immun dagegen war", sagt der Sohn. Etwa, wenn er den Fronteinsatz im Osten als Dienst an der Heimat dargestellt habe, nicht als aggressiven Überfall.

Joseph Schmitt stammte aus dem saarländischen Bildstock, im März 1942 wurde er von Frankreich an die Ostfront versetzt. Von Oktober 1943 bis zu seiner Entlassung weilte er aufgrund seiner Verwundungen in deutschen Lazaretten. Mit der häufig wiederholten Versicherung "bin noch am Leben", spricht er wohl nicht nur den Lieben daheim Mut zu, sondern auch sich selbst. Er schreibt vom Verlust des Bruders, erzählt vom Kameraden, der in seinen Armen starb; doch auch Berichte über Landschaft und Leute, den Schmutz und das Essen kommen zur Sprache.

Nach den ersten, noch frohgemuten Briefen aus Frankreich erreichen mit Fortdauer des Krieges immer häufiger Schilderungen die Heimat, in denen Schmitt die Gräuel, die er erlebt, andeutet, immer darauf bedacht, seine junge Frau nicht zu erschrecken. Ob aus Mitgefühl, oder weil er die Zensur fürchtet, ist nicht belegbar. Nach dem Krieg, so Schmitt junior, sei über die Briefe nicht mehr gesprochen worden. Detailreich und oft im nazistischen Idiom schildert der Vater Leben und Leiden der Landbevölkerung, freut sich aber auch über einen Balalaika-Abend oder äußert Mitgefühl: ". . . In dem Dorf, wo wir eingeschlossen waren und später beim Vormarsch Quartier bezogen, wohnte eine Familie im Hause, deren Heim völlig zerstört wurde. Dabei wurde der Mann schwer verletzt und 3 kleine Kinder auf einmal getötet. So war es bei vielen . . . " Resigniert schreibt er an anderer Stelle: "Man sieht so viel Elend, so manches zerstörte Menschenleben . . . Es gibt manches, was man dem Papier nicht anvertrauen mag, und nichts ist für schwache Nerven . . ."

Kritik an den Verbrechen des Nationalsozialismus, am Überfall auf Russland äußert der Vater an keiner Stelle, allerdings bekennt er sich auch nicht dazu; seltsam neutral wirken seine Aussagen zum Kriegsgeschehen. Weit mehr bewegt ihn die Liebe zu Frau und Familie, eine Liebe, die, so der Sohn, den Krieg überdauert. "Seit meine Erinnerung an ihn einsetzt, war er überzeugter Europäer. Das Musizieren als Geiger in einem Kammerorchester und die Malerei haben ihm geholfen, das Kriegstrauma zu überwinden." 1985 ist er gestorben.

Die Briefe spiegeln den Versuch, sich in einem Ausnahmezustand irgendwie einzurichten. Die große Politik und die Nazi-Ideologie scheinen darin fern und abstrakt. Was dem Vater widerfuhr, sieht der Sohn als Mahnung in einer Zeit, in der erneut fremdenfeindliche Ideologien an Boden gewinnen.

Am Samstag, 12. März, 16 Uhr, liest Josef Schmitt in der Klosterschule Glonn in seinem Buch "Bin noch am Leben" aus Feldpostbriefen seines Vaters

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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