Glonn:Loop oder nicht Loop

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Martin Kälberer lotet klangliche Wirkungen und Widersprüche aus

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Wenn er sich tief über sein Instrument neigt, während er diesem mit kaum mehr wahrnehmbaren Handbewegungen Klänge entlockt, dann ähnelt Martin Kälberers Körpersprache der Skulptur "Der Denker" von Rodin. Früher oder später in einem Konzert springt diese Symbolik ins Publikum über, das von einem rein betrachtenden dann zu einem wahrnehmenden wird. Das geht so weit, dass ein normalerweise passives Auditorium sich wandelt und mit jedem Stück sich innerlich verändert, weil Kälberers Musik jeden Einzelnen in Bewegung setzt. Sein Vortrag hat etwas sehr Philosophisches, nur dass er seine Gedanken nicht mit Worten ausdrückt.

Beim abendlichen Konzert in der vollbesetzten Reithalle von Gut Sonnenhausen, Titel "Suono", war die Wirkung dieser Musik an der Körperhaltung der Anwesenden abzulesen. Je mehr sich der Solist in seine Klänge vertiefte, desto mehr gaben sich die Zuhörer hin, saßen entspannter auf ihren Stühlen, nahmen die Rhythmen spiegelbildlich auf. Anders als bei den üblichen Jazzstilen jedoch fielen diese Antworten und Echos sehr individuell aus, je nach Tempo und Klangwelt variabel zudem. Zeit spielte da keine Rolle mehr, Vertrautheit dagegen sehr.

Vertrautheit ist wichtig für das Verständnis von Kälberers Musik, denn man kann sich in seinen Klangbildern auch leicht verlieren, vielleicht sogar irritiert fühlen. Der Grund dafür ist dem Künstler auch bewusst, sprach er doch nach der Pause das Thema direkt an: die "Loop Machine". Jenes technische Gerät also, das eine Tonspur mit einigen Takten von diesem Instrument oder jenem Gesang aufnimmt, diese wiederholt, während die nächste Spur aufgenommen wird - und so Spur zu Spur fügt, bis aus der Hand und dem Mund eines Musikers ein Grundklang und -rhythmus geschaffen ist, über den hinweg er dann frei auf der Percussion improvisiert. "Klangfarbenmuster" nennt Kälberer das, ein treffender Begriff.

Kann man schon trefflich darüber streiten, ob dies ein "zulässiges" Instrument ist (ich vermute, ein Mozart hätte sich darauf gestürzt, ein Bach es fasziniert betrachtet, ein Strawinski sich abgewandt) und welchen musikalischen Wert es schafft. Wenn einer es aber in solchem Maß beherrscht wie Kälberer und darauf seine Kreation aufsetzt, sollte man es vom Ergebnis her bewerten, nicht vom Ausgang. Das Ergebnis spricht für Kälberer, wobei es selbst einem solchen Könner wie ihm passieren kann, dass der Grundklang danebengeht und zum Beispiel sehr monoton gerät. Ganz offenkundig entscheiden bei diesen Endlosschleifen Millisekunden zwischen Genialität und Belästigung.

Ganz anders die Wirkung, wenn sich der Solist ans Klavier setzt, intensiv mit der urtümlichen Kraft der Bassakkorde spielend einen umwerfenden Groove zaubert, seine Gedanken mit den Läufen und Akkorden der rechten Hand hochfliegen und abtauchen lässt und mit hartem Anschlag den Wechsel der Flugrichtung signalisiert. Das ist spielerisch großartig, emotional dicht, reich an Esprit und von hohem Suchtfaktor. Hier spielt einer mit der schieren Lust am Spiel, traumwandlerisch sicher, dass sein Publikum gar nicht anders kann, als mitgerissen zu sein - und nach dem Verklingen der letzten Note in geradezu frenetischen Applaus auszubrechen.

Da wollte sich am Ende keiner mehr davon lösen, was in feine Zugaben mündete, eine davon in bewegendem Duett mit Stephanie Boltz, ein Take-Out aus einem gemeinsamen Album, das in Sonnenhausen gerade entstanden ist und ein bemerkenswertes Zeichen dafür, wie weit gespannt der musikalische Horizont dieses Martin Kälberer ist.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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