Glonn:Kleiner Ort, große Freiheit

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Kandidaten für Tassilo: In der Schrottgalerie in Glonn bringen Skulpturen und Klänge seit 16 Jahren die Gedanken und Herzen der Besucher in Bewegung

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Unlängst ging es Sven Friedl so, wie es einem Vater geht, wenn der Nachwuchs auf einmal aus den Kinderschuhen heraus ist und wegen des Führerscheins anfragt. Staunen, Verwunderung, Stolz und Nachdenklichkeit schwangen in seiner Stimme mit, als er das Publikum der Schrottgalerie bei einem dieser freitagabendlichen Wochenausklangsmusikrunden - Konzert kann, ja darf man das nicht nennen - am Jahrestag der Glonner "Schrottgalerie" teilhaben ließ: "Dass eine Kleinkunstbühne 16 Jahre überlebt, das hätte ich dann doch nicht erwartet; schon gar nicht da heraußen."

"Da heraußen", das ist Luftlinie vielleicht 30 Kilometer von dem Ort entfernt, wo nach Ansicht vieler die Musik spielt, in Schwabing. Dort ist er als junger Mann selbst auf der Bühne gestanden, mit anderen, hat Kabarett gemacht und wie jeder anständige Kabarettist darüber nachgedacht, es besser, schöner, freier, auf jeden Fall anders und in eigener Verantwortung zu machen.

In Glonn hat er den Platz dafür gefunden, zunächst im alten Feuerwehrhaus, baufällig damals und damit genau das Richtige für junge, abenteuerlustige und tatkräftige Männer, um sich mit Muskelkraft den Spielraum fürs Hirnschmalz zu erarbeiten. Wobei das Kabarett, so wie es ein ordentlicher Feuilletonist definiert, zunächst ins zweite Glied zurücktreten musste. Denn seine Meinung zum Zustand der Welt äußerte Friedl nun bevorzugt über Skulpturen aus Schrott.

Gemeinsam mit dem Steinbildhauer Hanno Größl bestückt er seither die "Schrottgalerie" mit ansehnlichen Botschaften aus rostigen Pflugscharen oder Sägeblättern und dergleichen, Gegenstände auf jeden Fall, denen noch zu viel Leben innewohnt, um sie als Alteisen zu entsorgen. Meist sind es Überbleibsel aus der Landwirtschaft. Denn die prägt die Welt, in deren Zentrum sich Glonn befindet. Ein oberbayerisches Dorf, mit (aktivem) Kirchturm und (deaktiviertem) Marktplatz im Herzen, fern urbaner Höhenflüge und gern unter sich. Gleichzeitig aber von erfrischend entspannter Offenheit dieser uneitlen Galerie gegenüber, in der Herzvorkammer des Ortes angesiedelt und im örtlichen "Wir" inzwischen tief verankert.

Denn die Offenheit ist gegenseitig, die Schrottgalerie eben nicht nur ein Raum, in dem Friedl und Größl ihre Kunst zeigen. Sie öffnete ihre knarzigen Holztüren von Anfang an auch für wechselnde Ausstellungen anderer Künstler aus Ort und Region, bot sich an als Treffpunkt, als Ort zum Auftanken und zum anregenden Gedankenaustausch. Auch Künstler, die nicht oder noch nicht so bekannt sind, finden - so wissen es jene zu schätzen, die hier einen Tassilo-Kandidaten erkennen -, "in der Galerie eine offene Tür, ein offenes Ohr und eine Chance aufzutreten und etwas auszuprobieren". Früh schon begannen Auftritte von Musikern den Aufenthalt im (nach zwei Jahren bezogenen) Stadel "In der Durchfahrt" in den Sinnen der Besucher nachklingen zu lassen. Weil die Hausherren aus ihrer Begeisterung für den Blues keinen Hehl machten, weil sich das Publikum als kundig und begeisterungsfähig, die Atmosphäre zwischen Holz, Schrott und Steinen sich als einzigartig erwies - kurzum, weil alles passte, sprach sich die neue Adresse in der Szene so schnell herum, dass die Warteliste für einen Auftritt bald länger war als die Wunschliste der Gastgeber. Unplugged und der ersten Stuhlreihe vier Bodenbretter nahe haben seitdem Jazzer und Blueser aller Provenienz, darunter Grammy-Gewinner und Diplomaten, sich kostenlos der Herausforderung der Schrottgalerie gestellt - und darauf vertraut, dass ihre Kunst den am Ende gereichten Hut zu füllen vermag.

"Ein wunderbarer Ort" sei das für alle, die etwas zeigen wollen und können, was sie selbst geschaffen haben, und für solche, die sich das anschauen und anhören wollen, heißt es lobend in der Nominierung. Wunderbar schon deshalb, weil sich die Galerie um ihren Kern herum stetig wandelt. Das Team hat sich vergrößert, neue Ideen, Stile und Themen kommen dazu. Rost setzt hier keiner an. Dafür weht einfach zu viel frischer Wind durch das "Forum für den freien Geist", wie die Galeristen ihre gute Stube nennen. Wobei mancher, der seinen Geist die Woche über zu arg strapaziert hat, bei einem dieser entspannenden Wochenausklangskonzerte diese Freiheit erst mal wiederfindet.

© SZ vom 25.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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