Glonn:Jazz alpin

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Das Festival endet mit einem Experiment - es heißt Jütz

Von Anselm Schindler, Glonn

Die Wildsau schnaubt durch das Unterholz, ihr auf den Fersen ein Mann mit Flinte. Er hat sie im Visier, doch immer, wenn er zum Schuss ansetzen will, macht die Sau einen Satz nach vorne. Diese und andere Szenen spielen sich vor dem inneren Auge ab, wenn man dem schweizerisch-tirolerischen Trio Jütz zuhört.

Phillip Moll erzeugt am Kontrabass ein dumpfes Trommeln, es klingt aufwühlend und beunruhigend. Sein Bandkollege Daniel Woodtli klackert mit seinem Ringfinger am Schallbecher der Trompete, dann grunzt er in das Mundstück, das Publikum lacht. Mit Jütz geht an diesem verregneten Samstagnachmittag das Alpenspektakel zu Ende. Für die Band ist es auch eine Premiere: Auf Hütten und Berggipfeln in Italien, Österreich und der Schweiz haben sie schon gespielt. In Bayern bislang noch nie.

Jütz bieten Kopfkino an, mehr eigentlich noch, Musik die man mit allen Sinnen wahrnehmen kann. Die Band bedient sich verschiedenster Spielarten der alpenländischen Volksmusik, nimmt sie auseinander und setzt sie neu zusammen. Es wird gezupft, gejodelt, gestrichen und nicht zuletzt viel improvisiert. Es erklingen Versatzstücke aus der Bayernhymne, einige Takte weiter verschmelzen sie mit der Melodie von Astrid Lindgrens Musikstück zu Pipi Langstrumpf. Viel wird neu interpretiert, mit ihrer durchdringenden Stimme greift Sängerin Isa Kurz, Herz des Trios, Tiroler Volkslieder auf. Sanft streichen die Rosshaare über die Saiten der Violine.

Gerade einmal 50 Kilometer Grenze verbinden das Österreichische Bundesland Tirol mit dem deutschsprachigen Teil der Schweiz, kulturell aber freilich viel mehr. Das Sammelsurium an verschiedensten Dialekten in diesem Gebiet ist riesig, jedes Tal scheint seine eigene Sprache zu haben. Die Lage im Länderviereck zwischen Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich hat in den beiden alpenländischen Regionen schon immer zwei gegensätzliche Entwicklungen vorangetrieben: Einerseits reichen sich in den Bergen seit jeher verschiedene Kulturen und Einflüsse die Hand. Andererseits waren da immer der starke Wunsch nach Abgrenzung und die nationalistische Überhöhung der Heimat. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Trio Jütz, zwei der Musiker kommen aus Tirol, einer aus der Schweiz. Doch die musikalische Heimat von Jütz geht darüber hinaus, man könnte das Trio auch im Genre Weltmusik verorten.

Wenn Isa Kurz die Saiten der Violine wie die einer Gitarre spielt, einen verspielten Singsang anstimmt und tiefes Brummen aus der Trompete von Daniel Woodtli dringt, dann fühlt man sich an das Getrommel und die Gesänge der indigenen Bevölkerung Nordamerikas erinnert. Zusammengefunden haben Moll und Woodtli 2012. Sie wollten Kontrabass und Trompete, Schweiz und Tirol zu etwas Neuem vereinigen. Mit ins Boot geholt haben sie sich Sängerin und Multiinstrumentalistin Isa Kurz. Schnell kam die Band bei den Ludwigsburger Bauer-Studios unter.

Vor rund eineinhalb Jahren erschien dann das Debut-Album des Trios, "Jütz", vor allem in Jazz-Kreisen kam es gut an. Aus dem Jazz hat sich die Band die Kreativität und den Mut zur Improvisation abgeschaut. Auch der Bandname lässt sich so erklären. Hineininterpretieren könne man in ihn viel, erklärt Isa Kurz. Der Juchzer, oder "Juzli", wie man in Tirol sagt, klingt in ihm an. Aber auch das Wort "jetzt", und "Jazz" ohnehin. Auf dem Album der Band sind urige Klassiker der alpenländischen Musik zu finden. Wie "Tirol isch lei oans" oder "In die Berg bin i gern". Die Gruppe schafft es, diese Stücke in die Gegenwart zu retten - und das fast ohne Kitsch und Volkstümelei.

© SZ vom 04.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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