Glonn:Engel mit Durchhaltevermögen

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Brigitte Lehmann (ganz links sitzend) organisiert die Glonner "Donnerstagsdamen" bereits seit 40 Jahren. (Foto: Christian Endt)

Die Glonner "Donnerstags-Damen" besuchen seit 40 Jahren die Bewohner des Marienheims - mittlerweile sind sie selbst längst im Rentenalter angekommen

Von Anja Blum, Glonn

"Der Kuchen ist eigentlich zweitrangig", erklärt eine der Glonner "Donnerstags-Damen" - und alle nicken lachend. "Obwohl, manchmal fragen sie dann schon, ob's heute keinen Apfelkuchen gebe", sagt eine andere. "Den mögen sie nämlich so gern." Die Donnerstags-Damen sind eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die regelmäßig die Bewohner im Marienheim besuchen, und zwar seit 40 Jahren. Die meisten von ihnen, man glaubt es kaum, sind schon seit Jahrzehnten dabei, also mittlerweile selbst längst im Rentenalter. Sogar zwei der Gründerinnen sind noch mit von der Partie: An erster Stelle Brigitte Lehmann, eine überaus rüstige 83-Jährige, die das Unterfangen seit 40 Jahren organisiert hat, und Anneliese Endisch, 73. "Kaum eine von uns ist unter siebzig", sagt Lehmann und lächelt verschmitzt, ganz so, als genieße sie die nun unausweichlich folgende ungläubige Bewunderung.

Doch der hohe Altersdurchschnitt der Glonner Donnerstags-Damen offenbart auch eine Schattenseite: Es mangelt an Nachwuchs, an jüngeren Frauen, die die Gründergeneration einmal beerben, die Lehmann endlich die Last des Organisierens abnehmen. "Das würde ich nämlich gerne bald abgeben", sagt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, auch wenn mit den Besuchen im Seniorenheim noch lange nicht Schluss sein soll. Doch unter den jetzigen Mitstreiterinnen habe sie bislang keine Nachfolgerin gefunden. Außerdem verringert sich die Zahl der Damen langsam aber stetig, eine der fünf Stationen des Marienheims drohe besuchsmäßig bereits zu verwaisen, heißt es.

Zu Beginn bestand der Kreis aus knapp 40 Frauen, Initiator war der Arzt Peter Kreutzer, der die Not und Einsamkeit der Heimbewohner erkannte: Viele von ihnen hatten durch die Wirren des Krieges Heimat und Familie verloren. Heute sind es noch 25 Frauen, die die etwa 150 Senioren im Marienheim mit Kuchen und, vor allem, Aufmerksamkeit verwöhnen.

Verbittert oder enttäuscht sind die Donnerstags-Damen angesichts des mangelnden Nachwuchses allerdings nicht. Vielmehr zeigen sie Verständnis. "Die jüngeren Frauen haben eben alle keine Zeit, weil sie Kinder haben und arbeiten müssen" - eine Doppelbelastung, die sie selbst früher nicht hätten stemmen müssen. "Kinder kann man aber immer mitbringen, das mögen die Senioren sehr gerne", wirft eine der Damen gleich ein, "ich nehm' manchmal meine Enkelin mit." Ein schier unverwüstlicher Optimismus ist es wohl auch, der diese Damen-Runde auszeichnet. Schließlich kann ihr Ehrenamt, Kuchen hin oder her, manchmal auch zur Belastung werden: Dank der regelmäßigen Besuche -offiziell jeden ersten Donnerstag im Monat, aber eigentlich viel öfter - und der festen Aufteilung der Stationen bauen die Frauen und die Senioren teils durchaus feste Bindungen auf. So dass es, wie die Ehrenamtlichen erzählen, schon immer wieder sehr schmerzt, körperlichen wie seelischen Verfall beobachten und Todesfälle miterleben zu müssen. Für Hubert Radan, Leiter des Marienheims, macht aber gerade die Kontinuität der persönlichen Kontakte die Donnerstags-Damen aus: "Sie sind für unsere Heimbewohner alle Engel."

Die Frauen selbst relativieren solches Lob freilich gerne: "Wir geben nicht nur, wir nehmen auch!", sagen sie und schwärmen von vielen wunderbaren Begegnungen. Denn darum geht es hier in erster Linie: Zeit miteinander zu verbringen. Sei es am Kaffeetisch, oder, wenn das nicht mehr möglich ist, am Bett. Sei es ratschend, zuhörend, schweigend die Hand haltend oder singend. "Volkslieder gehen eigentlich immer", sagt eine der Ehrenamtlichen und lacht. Immer wieder ergäben sich neue Runden, in denen wieder andere Beschäftigungen im Vordergrund stünden, je nach den Vorlieben der Senioren. Sei es Kreuzworträtsel lösen, Gedichte rezitieren oder eben singen. Manchmal entdecken Besucherinnen und Heimbewohner auch Gemeinsamkeiten wie einen fernen Dialekt, dem man dann gemeinsam frönen kann, oder Berührungspunkte in der Vergangenheit. "Einmal hat sich herausgestellt, dass mein Vater früher der Chef eines Bewohners war", erzählt Brigitte Lehmann. "Da hab ich ganz schön gestaunt."

Überhaupt scheinen die Donnerstags-Damen ein unerschöpflicher Quell wunderbarer Anekdoten zu sein. So erzählen sie zum Beispiel von einer 90-Jährigen, die sich bereits aufgegeben, im Marienheim jedoch auf einmal ihren Lebensmut wiedergefunden habe. "Da hat sie mich dann auf einmal gefragt, wo man hier eine Dauerwelle und Nagellack herbekäme!" Aber auch ein blinder Heimbewohner ist den Damen sehr im Gedächtnis geblieben: "Der war immer so fröhlich - obwohl er wirklich nichts zu lachen hatte." Gerade von solchen Menschen könne man sehr viel lernen.

Verändert hat sich in den vergangenen 40 Jahren vor allem eines: Der Anteil der pflegebedürftigen im Vergleich zu den rüstigen Bewohnern des Heims hat sich umgekehrt, das Verhältnis liegt laut Radan bei etwa 80 zu 20 Prozent. Deswegen mussten die Damen die Ausflüge, die sie früher öfter mit den Senioren unternahmen, irgendwann einstellen. "Da wären heute viel zu viele Rollstuhlfahrer dabei." Diese Einschränkung tut dem Engagement der Donnerstags-Damen allerdings keinen Abbruch. "Wenn man einmal erlebt hat, wie sehr die Bewohner sich freuen, wenn man wiederkommt, wie sehnsüchtig sie auf den Besuch warten, dann muss man einfach wieder hier raufgehen." Und auch den Ehrenamtlichen würde ohne diese Aufgabe wahrscheinlich eine ganze Menge fehlen.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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