Glonn:Eine Reise zu den Wurzeln

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Faszinierende Klangerlebnisse mit dem Simin Tander Quartett: Im Bild die deutsch-afghanische Sängerin Simin Tander und Bassist Cord Heineking. (Foto: Hinz-Rosin)

Simin Tander und ihre Mitmusiker betören das Publikum in Sonnenhausen mit Klanglyrik des Orients

Von Peter Kees, Glonn

Kaum zu beschreiben, geschweige denn einzuordnen, was am Sonntag auf Gut Sonnenhausen zu hören war. Sanfte, poetische Klänge, Zärtlichkeiten und eine schwebende Schönheit, die auch in wilde Improvisationen übergehen konnte. Sie haben ihr Publikum betört, die Sängerin Simin Tander und die Musiker Franz von Chossy (Klavier), Cord Heineking (Kontrabass) und Etienne Nillesen (Schlagzeug).

Unter der Rubrik Jazz ist das Quartett im Kapellsaal aufgetreten. Jazz ist allerdings ein weitläufiger Begriff. Klassisch amerikanischen Jazz aus den Fünfzigern oder Sechzigern gab es nicht zu hören. Im ersten Titel des Konzerts überwog die lyrische Klangsprache des Orients. Tranceartig entführten die Musiker die Zuhörer in eine Welt, fern der ländlichen Idylle Oberbayerns.

Paschtu ist eine der Amtssprachen in Afghanistan, es ist auch die Sprache von Simin Tanders Vater, der starb, als sie vier Jahre alt war. Sie hat Paschtu zwar nie gelernt. Dennoch waren die Musik und der Gesang in dieser Sprache für sie wie eine Offenbarung. Die Musik zu benennen, fällt schwer. Ethnojazz trifft es ebenso wenig wie der inflationäre Begriff "Weltmusik", zumal die Stilistik der Musiker sehr vielseitig ist. Simin Tander findet für ihren ganz besonderen Gesang eigene Worte. "Es ist eine Reise - zu mir, durch meine Gefühls- und Gedankenwelt und zu meinen afghanischen Wurzeln."

Dabei ist es nicht nur ihre zärtliche und warme Stimme, die begeistert, auch Ausdruck und Farbenreichtum waren beeindruckend. Zudem hat sie drei hervorragende und äußerst einfühlsame Musiker an ihrer Seite, die diesen Konzertabend zu einem Highlight werden ließen. Sie spielten mit minimalistischen Klängen, durchsichtigen Rhythmen, mit einem großen Fundus an Jazzelementen und Stilformen Neuer Musik. Immer durchlässig und dabei durchaus auch experimentell. Der Pianist verwendete seine linke Hand, um den Flügel für Momente zu präparieren, der Schlagzeuger setzte Bögen auf einem Becken ein, Stricknadeln und andere Werkzeuge, mit denen er eigenwillige Klänge erzeugte. Simin Tander selbst präsentierte das ganze Repertoire ihrer stimmlichen Möglichkeiten: Mal waren Melismen zu hören, also Tonfolgen, die auf einer Silbe gesungen werden, mal verwandelte sie ihre Stimme perkussiv oder glänzte mit großen Melodiebögen.

Auch bei instrumentalen Fortissimo-Improvisationen blieb das Klangbild fein. Tander griff auf bekannte Songs zurück oder interpretierte Eigenkompositionen. Da ist nicht nur der Blick auf ihre Wurzeln, da geht es in den Raum zwischen Orient und Okzident und weit darüber hinaus. Ach, und dann sang sie auch in selbst erfunden Sprachen. "Wie schön es doch ist, nicht immer erwachsen sein zu müssen," sagte sie dazu. Einmal mehr wurde klar, Musik verbindet mehr als jede Sprache.

Was das Quartett in Sonnenhausen zum Besten gegeben hat, ist das Repertoire seines Albums "Where Water Travels Home", das vor zwei Jahren aufgenommen wurde. Nur, dass hier ein anderer Pianist eingesprungen ist, Franz von Chossy, der sich feinfühlig in die Formation integriert.

Das Herzstück des Programms aber war ein Gesang, der solistisch beginnt. Nur ein Sample mit fernen Stimmen wie von einem Marktplatz wird dazu eingespielt, ehe die anderen Instrumente mit einsteigen: Tander sang auf Paschtu ein Gedicht ihres Vaters. Um Sehnsucht ging es da, um die Sehnsucht nach der Geliebten und der Sehnsucht nach Heimat. Auch das ist Ausdruck einer Identitätssuche - aber nicht der einer Fremden, sondern der einer hochbegabten jungen Frau.

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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