Glonn:Ein Hoch auf die Zeichnung

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Die Künstlergruppe "Linie 3" zeigt in der Glonner Klosterschule ihre erste Ausstellung

Von Anja Blum, Glonn

Das Verhältnis zwischen Künstlern und Kunsttherapeuten ist in der Regel nicht das entspannteste. Bei ersteren steht der individuelle Ausdruck im Zentrum, zweitere fokussieren das Gegenüber, versuchen seine Beschwerden durch Kreativität zu lindern. "Bei der Kunsttherapie geht es um Kontakt, Vertrauen, Bearbeitung", erklärt Helmut Kirchlechner. Und er muss es wissen: Der Glonner arbeitet seit vielen Jahren in einem Münchner Krisenzentrum mit Menschen, die an diversen psychologischen Erkrankungen leiden. Aber Kirchlechner ist auch Künstler - und weiß deshalb sehr gut um die "Spannungsfelder" zwischen den Disziplinen. "Viele meinen, dass man nicht beides gleichzeitig sein kann, dass man sich als Therapeut verbiegen, verleugnen muss", sagt er über seine Künstlerkollegen. Doch er selbst habe da ganz andere Erfahrungen gemacht, habe es nie bereut, sich nach dem Kunststudium noch ein zweites Standbein gesucht zu haben. "Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass die therapeutischen Ansätze für die Kunst eine Bereicherung sein können", sagt er.

Dieser Überzeugung entspringt denn auch ein Projekt Kirchlechners, dessen Ergebnisse man nun in der Glonner Klosterschule bewundern kann. Vor etwa einem Jahr hat sich Kirchlechner auf die Suche gemacht nach Gleichgesinnten: nach professionellen Künstlern, die wie er selbst ihren Schwerpunkt auf das Zeichnen setzen - und darüber hinaus Erfahrungen als Therapeuten haben. So ist "Linie 3" entstanden, eine Gruppe, die den kreativen Austausch pflegt und nun erstmals gemeinsam ausstellt. Neben Kirchlechner gehören ihr Albin Zauner aus Dorfen und Veronika Günther aus München an. Das vierte Rad am Wagen gibt diesmal Stefan Duttenhofer aus Poing. "Unser Konzept sieht nämlich vor, dass die Linie 3 wechselnde Fahrgäste mitnimmt", erklärt Kirchlechner, "so dass es immer wieder neue Impulse gibt." Alles Weitere aber sei noch offen, man müsse erst sehen, wie sich das entwickle.

Zusammen wollen die vier Künstler ihre Gäste in die spannende Welt der Zeichnung entführen - mit je eigenen Werkgruppen, aber auch mit einer gemeinsamen Serie namens "Ping-Pong": Sie besteht aus dialogischen Zeichnungen, einem Verfahren aus der Kunsttherapie. Dort wird es eingesetzt, um mit dem Patienten in Kontakt zu treten: Dieser malt ein Bild, auf das der Therapeut mit einem Bild antwortet. "Ganz nach dem Motto: Wenn Worte fehlen, sprechen Bilder", erklärt Kirchlechner. Er und seine Kollegen haben dieses therapeutische Prinzip umgewandelt in einen freien, künstlerischen Dialog. "Einer zeichnet etwas, schickt es den anderen, und wer sich inspiriert fühlt, zeichnet ganz intuitiv eine Antwort." Ohne Zwang oder Ernst - ganz locker und spielerisch. Eine Serie, die Kirchlechner als eine Art besondere Zugabe, irgendwo zwischen den Welten Kunst und Therapie, versteht.

Generell soll die Ausstellung der Linie 3 "ein Hoch auf die Zeichnung" sein: Diese sei schließlich die älteste bildende Kunstform und auch die Königsdisziplin, denn hier könne mit den aller einfachsten Mitteln das ganze Universum, aber auch die aller kleinste Emotion dargestellt werden. "Linie 3 will diesem wunderbaren Medium Raum geben, indem vier Künstler mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen die Vielfalt der Zeichnung zeigen: abstrakt, figurativ, konzeptuell, erzählerisch oder experimentell."

Veronika Günther etwa lässt die Besucher an einem besonderen Projekt teilhaben: Sie zeigt 31 farbige Tuschezeichnungen, ein Blatt für jeden Tag des Monats. Über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr hat sie täglich auf das Blatt des jeweiligen Datums gezeichnet, dabei jeden Monat eine andere Farbe benutzt und so die lange Entstehungszeit nachvollziehbar gemacht. Neues Terrain hat auch Stefan Duttenhofer mit seinen drei gezeichneten Filmen betreten: Sie entstanden, indem er selbst gedrehte Filmsequenzen in Einzelbilder zerteilt, ausgedruckt und abgezeichnet hat. Dann wurden die Zeichnungen am PC wieder zu einem Film montiert.

"Urbane Schlafwandler" heißt die Serie, die Albin Zauner zeigt: "eine Art Odyssee durch ein städtisches Labyrinth mit zahlreichen Zitaten aus der Kunstgeschichte". Die rund 60 Blätter werden in einer Art Cloud-Formation präsentiert. Kirchlechner selbst hat sich dem Kreis verschrieben: Er huldigt dieser Form auf Büttenpapier, mit Blei- oder Buntstiften oder leerem Kugelschreiber. Durch diese äußerste Reduktion im Konzeptuellen würden die sinnlichen Qualitäten der Arbeiten und ein nahezu unendliches Potenzial an Möglichkeiten nicht ausgeschlossen, sondern gerade erst ermöglicht, schreibt der Kunsthistoriker Johannes Kögler.

Linie 3 nimmt den Betrieb auf: Am Sonntag, 15. und 22. November, jeweils 11 bis 17 Uhr, in der Galerie der Klosterschule Glonn

© SZ vom 13.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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