Glonn:Direkt ins Herz

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Das Team der Schrottgalerie Glonn besteht aus (v. l.) Yvonne Reber, Hanno Grössl, Petra Friedl, Sven Friedl und Werner Bertolan. (Foto: Christian Endt)

Beim Jubiläumskonzert in der Schrottgalerie zelebrieren Künstler wie "Dr. Will & The Wizards" und "Locos por la Rumba" Momente von großer poetischer Kraft

Von Ulrich Pfaffenberger, Glonn

Mit zwei Konzerten hat an diesem Wochenende die Schrottgalerie in Glonn ihr 15-Jähriges begangen. Das dazu aufgetischte Festmahl verzichtete auf Häppchen und Brimborium. Serviert wurde Musik pur, dazu die üblichen Brezen, Bier und Bionade. Vor zwei Mal voll besetztem Haus gab es gleichwohl eine Variation dessen zu genießen, was Galerie und Konzertprogramm seit ihrer Gründung auszeichnet. So zeigt sich erstens die gebotene Musik inzwischen wandelbarer denn je, was zweitens denen zuzuschreiben ist, die hier mit dem Herzen bei der Sache sind. Locos por la Rumba am Freitag mit ihren spanisch-lateinamerikanischen Rhythmen und die bairisch-bluesigen Dr. Will & The Wizards am Samstag machten die Vereinbarkeit der Gegensätze hörbar, die schon einige Zeit das Programm prägen. So ließen die Gratulanten nicht nur Gründer Sven Friedel ausgiebig hochleben, sondern gaben auch jenen drei Vertrauens-Applaus mit auf den Weg, die im nunmehrigen Galerie-Quartett mitgestalten: Yvonne Reber, Hanno Grössl und Werner Bertolan.

Was das Geburtstagsmenü angeht: Auf die feurigen Melodien des Freitags folgte am Abend darauf Mardi Gras mit allen Schikanen. Was die Veranstalter genauso in hemmungslose Begeisterung versetzte wie das Publikum, das mit solch eruptivem Applaus wie schon lange nicht mehr die Wände und Böden der Galerie zum Beben brachte. Allein schon Dr. Wills genialistisches Schlagzeugsolo auf einem stinknormalen Zuschauerstuhl war es wert, diesen Abend nicht irgendwo anders verbracht zu haben als in der akustischen Hotbox an der St. Johannes-Straße.

Zu viel der Begeisterung? Zu euphorisch? Diesen Einwurf können nur jene bringen, die nicht Ohrenzeugen wurden, wie ein perfekt aufeinander abgestimmtes Quartett versierter Musiker eine Grenzerfahrung machte: Von der ersten bis zur letzten Minute unplugged zu Werke gehend, lieferten sie eine Demonstration der hohen Blues-Schule. Uli Kümpfel an Banjo und Gitarre, Jürgen Reiter am Kontrabass und Sahsmo Bibergeil an der Gitarre zeigten zusammen mit ihrem Bandleader, Sänger und Universalisten für rhythmisches Schlagwerk, Dr. Will, welche große Kunstfertigkeit es im Umgang klangstarker Instrumente braucht, auf dass jedes nicht nur gehört, sondern wahrgenommen und verstanden werde. Derlei gelingt nur, wenn sich die Beteiligten der Kunst der anderen genauso bewusst sind wie des eigenen Könnens - und diesem Respekt zollen und Raum gewähren. Die Folge: Was das voll besetzte Haus in Glonn zu hören bekam, hatte kammermusikalische Qualität.

Verblüffend für manchen, der Dr. Will noch nie oder schon länger nicht mehr gehört hat, ist die berührende Art und Weise, mit der er seine Stimme einsetzt, um Stimmungen auszudrücken und den flott vor sich hin erzählenden Texten der Lieder eine eigene poetische Note zu geben. Mag sich der eine an Mink de Ville und der andere an Tom Waits erinnert fühlen, so bleibt am Ende des Abends doch für alle die Erkenntnis, einen Dr. Will gehört zu haben, der sich mit keinem anderen vergleichen zu lassen braucht. Näher und nahbarer als er mit seiner souverän zwischen filigran und provozierend wechselnden Intonation kann ein Sänger seinen Zuhörern kaum sein. Wobei es die gedankenvollen, leisen Töne waren, die am längsten nachhallten.

Aber auch dort, wo es lauter zuging, überzeugte die Band mit Emotionen, die unter die Haut gingen und vom Trommelfell direkt ins Herz: Wen die nervenzerfetzenden Fermaten und Tempiwechsel des Quartetts bei "Temptation", die tänzerische Leichtigkeit bei "Mardi Gras Day" und die süffigen Akkorde bei "Itching again" nicht mitreißen, dürfte auch sonst vom Leben nicht viel spüren. Das "Misirlou", mit dem in der intimen Atmosphäre einer Schrottgalerie schon viele die Bluesbrücke zwischen dem Nahen Osten und Amerika geschlagen haben, gerät bei Dr. Will & The Wizards zur Demonstration von Eigenständigkeit und Musikalität - und zur Hommage an Quentin Tarantino, von dem sich die Band ganz offensichtlich inspiriert fühlt.

Einen Moment dieses Konzerts schließlich haben alle Anwesenden als exorbitant im wahrsten Sinne erlebt: Als sich bei "Gumbo French" aus absoluter Stille Töne von Sashmo Bibergeils Gitarre aufmachten, den Raum zu füllen und zu erhellen. Aus einem pianissimo possibile wachsen sie heran zu umfassender, unwiderstehlicher Kraft und Stärke. Diese Takte müssen dem lieben Gott durch den Kopf gegangen sein, als er über eine Begleitmusik für die ersten Schöpfungsminuten nachdachte. Sie sind aber, gleichwohl, im 15. Jahr der Schrottgalerie auch die Botschaft: Glaubt an den Blues!

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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