Geschichte:"Man darf da keine Lücke lassen"

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Der Historiker Bernhard Schäfer berichtet von den Mühen, ein Buch über die NS-Zeit im Landkreis zu schreiben. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet er daran

Interview von Anja Blum

Historische lokale Themen haben Konjunktur. Viele Menschen im Landkreis beschäftigen sich mit der Vergangenheit ihrer Region, besuchen entsprechende Vorträge, engagieren sich in Heimatkundevereinen, organisieren Ausstellungen mit historischen Exponaten und Fotos, verfassen Chroniken von Orten oder Vereinen. Doch eines gibt es noch nicht: eine Publikation, die einen Überblick gibt über den Landkreis während der Nazi-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs. Bernhard Schäfer aus Frauenneuharting, einer der wichtigsten Ebersberger Heimatforscher - Kreisarchivpfleger, Vorsitzender des Historischen Vereins und Museumsleiter in Grafing und vieles, vieles mehr - hat bereits vor vielen Jahren angekündigt, diese Lücke schließen zu wollen.

Herr Schäfer, arbeiten Sie noch an Ihrem Buch über die Zeit des Nationalsozialismus im Landkreis?

Ja, durchaus, das Projekt ist mitnichten eingeschlafen. Aber es geht nur mühsam voran.

Warum das?

Zum einen, weil es mir nur selten gelingt, dafür Zeit herauszuschneiden. Ich kann mich dem Thema ja eigentlich nur abends oder am Wochenende widmen. Und zum anderen ist es ein äußerst mühsames Geschäft, weil die Quellenlage so miserabel ist. Da bei Kriegsende alle wichtigen Akten vernichtet wurden, ist es sehr schwer, sich über diesen Zeitraum einen Überblick zu verschaffen. Die Reden des Landrats, die Berichte der Kreisleitung der NSDAP: alles weg. Verbrannt oder vergraben.

Die Arbeit an einem Buch, das die Gräueltaten der Nationalsozialisten im Landkreis Ebersberg aufarbeitet, geht schleppend voran, so der Historiker Bernhard Schäfer. (Foto: Archiv Ebersberg)

Verbrannt oder vergraben?

Ja, einer Überlieferung nach wurden die Akten aus Ebersberg in den Forst gefahren und dort verscharrt. Ich halte es aber für viel wahrscheinlicher, dass sie im Ofen der Brauerei am Schlossplatz gelandet sind, wo sich damals ja auch das Landratsamt befand. Das haben jedenfalls Zeugen in den Spruchkammerverfahren ausgesagt.

Was bedeutet diese problematische Quellenlage für Ihre Arbeit?

Dass ich auf Ersatzüberlieferungen zurückgreifen muss. Zum Beispiel auf die Akten der Spruchkammern, in denen ja im Nachgang viel verhandelt worden ist. Allerdings sind diese stark von Emotionen geprägt - und daher nicht ganz ungefährlich. Da wurde auch viel persönliche, schmutzige Wäsche gewaschen und dementsprechend fabuliert. Eine andere wichtige Quelle sind die damaligen Tageszeitungen. Diese alle immer wieder durchzusehen, ist eine riesige Mühsal, außerdem war die Presse während der Diktatur natürlich gesteuert. Aber gewisse Entwicklungen sind hier durchaus zu erkennen. Und wenn man diese Erkenntnisse dann abgleicht mit anderen Quellen, kann sich daraus schon ein ganz aussagekräftiges Bild entwickeln.

Was halten Sie davon, Zeitzeugen zu befragen?

Ehrlich gesagt, nicht sonderlich viel. Bei Aussagen nach Jahrzehnten bin ich sehr skeptisch. Ich habe schon viele Menschen dazu befragt, habe aber feststellen müssen, dass dabei schon so einiges verschwimmt, verständlicher Weise. Sei es das Vergessen oder Verdrängen - Erinnerungen sind immer relativ und selektiv.

Das Hakenkreuz strahlte über Steinhöring - und sandte "Heilgrüße" aus. (Foto: Archiv Ebersberg)

Ist die Recherche vielleicht auch deswegen schwierig, weil Sie bei den Menschen im Landkreis auf Widerstand stoßen?

Nein, ich denke, die Berührungsängste sind mittlerweile nicht mehr so groß. Widerstand wurde mir jedenfalls bislang nicht entgegengebracht. Höchstens mal eine blöde Bemerkung, eine Frage wie "Können wir das alles jetzt nicht endlich einmal abhaken?".

Wie reagieren Sie auf so etwas?

Dann sage ich: "Ja, das könnte man, schließlich ist das Ausmaß der Verbrechen hinlänglich bekannt." Und trotzdem ist es interessant und wichtig, sich die Geschehnisse auf kleinem Raum anzusehen. Sich zu fragen: Wie genau konnte das hier vor Ort passieren? Aus solchen Analysen kann man durchaus Gewinn ziehen. Und man darf da keine Lücke lassen. Das ist auch ganz wichtig für das Selbstverständnis eines Lebensraumes, für das kollektive Gedächtnis.

Was hat den Landkreis denn zur NS-Zeit von anderen Gebieten unterschieden?

Schon damals vor allem die Nähe zu München. Dadurch nämlich hatten die Machthaber einen besseren Zugriff auf die Bevölkerung. Weil die Wege kurz waren, wurde die NS-Ideologie in Ebersberg von Parteiprofis und damit wesentlich überzeugender vermittelt als anderswo, als mitten in der Pampa.

Wie lange arbeiten Sie bereits an dem Thema NS-Zeit im Landkreis?

Der Landkreis Ebersberg ist, was die Zeit des Nationalsozialismus angeht, mitnichten unbefleckt. Der Historiker Bernhard Schäfer hat sich die Aufklärung dieses dunklen Kapitels zur Aufgabe gemacht. (Foto: SZ-Archiv/Peter Hinz-Rosin)

Ich habe mich im Studium schon mal damit beschäftigt, an dem Buch arbeite ich jetzt seit etwa zehn Jahren. Ich habe ja auch schon einige einzelne Themen erarbeitet, die Gleichschaltung zum Beispiel, jüdische Schicksale, Euthanasiefälle, das Kriegsende. Doch all diese Versatzstücke zusammenzuführen - das kostet Zeit und Energie.

Wie soll das Buch denn aufgebaut sein?

Der erste Teil beleuchtet die Vorgeschichte. Wie ist die Ebersberger Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg eingestellt? Ist sie katholisch-konservativ oder tendiert sie zu schnellen Umschwüngen? Wann fasst der Nationalsozialismus hier Fuß? Ist dabei echte Überzeugung im Spiel oder gleicht die Begeisterung eher einem Strohfeuer? Der zweite Teil untersucht, wie sich der Ebersberger Raum - Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur - während der NS-Jahre darstellt. Die ganze Lebenswelt war zu dieser Zeit ja enorm stark reglementiert. Und der letzte Teil widmet sich den Folgen: Wie funktioniert die Entnazifizierung? Welche politische Entwicklung nimmt der Landkreis? Welcher Bürgermeister wird erst von den Amis abgesetzt - und taucht dann später wieder auf?

Kaum zu glauben...

Ja, das gab es öfter. Viele Verwaltungschefs haben nach dem Krieg gesagt, sie hätten nur mitgemacht, um irgendwelche Chefideologen auf den kommunalen Posten zu verhindern. Nach dem Motto: Alles zum Wohle der Gemeinde... Und wenn diese Bürgermeister dann später wieder gewählt wurden, spricht das natürlich schon für sie. So schnell vergisst die Bevölkerung nun ja auch wieder nicht. Aber das ist freilich ein schwieriges Thema.

Erheblichen Widerstand gegen das NS-Regime gab es im Landkreis jedenfalls nicht, oder?

Nein, große Figuren sind da nicht viele. Die Kommunisten etwa wurden gleich scharf in den Griff genommen und haben dann sehr vorsichtig agiert. Ansonsten haben es die meisten geduldet - aufmüpfig wurde man nur, wenn es um den eigenen Nachteil ging. Mutig waren aber die Dorfpfarrer, da gab es einige, die von der Kanzel herab klar ihre Meinung gesagt haben. Das geht aus den Personalakten hervor. Das Ordinariat hingegen, das hat eher herumlaviert.

Wie halten Sie es mit der Nennung von Namen?

Relative Personen der Zeitgeschichte, so der Fachterminus, werden natürlich namentlich genannt. Also Kreisleiter, Bezirksamtsmänner und Funktionsträger auf lokaler Ebene wie Bürgermeister oder Ortsgruppenleiter. Bei Privatleuten allerdings muss man schon ein bisschen vorsichtig sein, egal, ob es sich um Täter oder Opfer handelt.

Dass niemand will, dass sein Opa posthum als strammer Nazi enttarnt wird, ist klar. Aber wieso sind die Opfer auch ein schwieriges Thema?

Ich habe diese Erfahrung zum Beispiel bei der Recherche von Euthanasiefällen gemacht. Da gab es einen behinderten Buben, der in Haar getötet wurde. Den Namen sollte ich nicht nennen, weil die Angehörigen unschön berührt sein könnten, so warnte mich ein Kollege. Eben wegen der Behinderung. Aber ich verstehe das eigentlich nicht so ganz. Ich finde, man sollte den Opfern einen Namen geben, auch wenn das für den Aussagegehalt einer historischen Untersuchung unerheblich ist.

Wagen Sie eine Prognose, wann Ihr Buch fertig sein wird?

Na ja, ich habe schon viel, etwa 400 Seiten, im Rechner. Insofern denke ich schon, dass ich das Projekt in den nächsten zwei Jahren abschließen kann. Vielleicht muss ich dabei aber auch ein paar Abstriche machen, den ein oder anderen Aspekt später in einer separaten Untersuchung darstellen. Hilfreich wäre sicher, wenn ich von meinen vielen Ehrenämtern mal welche losbringen würde... (lacht).

Werden Sie das Buch auf eigene Faust veröffentlichen oder gibt es dafür irgendwelche Unterstützung?

Unter Landrat Fauth wollte der Landkreis sich an dem Projekt beteiligen, aber dann hat es wohl doch zu lange gedauert. Die dachten wohl, das wird nichts mehr. Aber wenn es jetzt bald so weit sein sollte, denke ich schon, dass der Kreis die Drucklegung fördern wird. Und wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Es gibt da heutzutage ja viele günstige Möglichkeiten, so etwas zu publizieren. Und sei es nur im Internet.

© SZ vom 07.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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