Für Ebersberg und Erding:Anrede: Ami

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2017 war Anna-Maria Lanzinger die Kandidatin der Grünen für die Bundestagswahl. Jetzt ist ein zweiter Anlauf geplant - als Kandidat. Der 24-Jährige über das Outing als non-binäre Person und seine politischen Pläne

Von Barbara Mooser, Ebersberg/Erding

Neulich hat Ami Lanzinger Post bekommen. Adressiert war der Brief folgendermaßen: Frau Ami (Anrede: "divers") Lanzinger. "So close and yet so far", lautete der trockene Kommentar Lanzingers auf Twitter dazu. Mit der Unbeholfenheit und oft auch Ignoranz, mit der in Deutschland momentan noch häufig mit non-binären Personen - also Menschen, die sich weder als Frau, noch als Mann fühlen - umgegangen wird, muss Lanzinger, 24, wahrscheinlich noch eine Weile leben. Dennoch ist die Erleichterung groß, dass seit ein paar Wochen viele wissen, dass "Frau Lanzinger" nicht die richtige Anrede ist und es eigentlich auch noch nie war. "Ich fühle mich jetzt viel wohler", sagt Ami Lanzinger über das Outing und will - wenn der Plan aufgeht - künftig auch politisch dafür kämpfen, dass in diesem Bereich noch einiges vorwärts geht.

Denn nach 2017 unternimmt Ami Lanzinger nun einen zweiten Versuch, für die Grünen in den Bundestag zu kommen, beziehungsweise sich nun erst einmal in der Kandidatenkür für den Wahlkreis Erding/Ebersberg an diesem Samstag durchzusetzen. Schließlich gibt es immerhin drei starke Gegenbewerber aus dem Landkreis Ebersberg - Christoph Lochmüller, Unternehmer und Biobauer aus Hohenlinden, Gunter Schmidt, IT-Fachmann aus Poing und Andreas Wichmann, Physiker aus Zorneding - sowie Maria Feckl, Betriebswirtin aus Forstern, die sich ebenfalls gern im kommenden Jahr für die Grünen in den Wahlkampf stürzen wollen.

Doch Lanzinger geht einigermaßen optimistisch in den Wahlnachmittag nach Vaterstetten, und sollte es klappen mit dem Votum der Delegierten aus den Landkreisen Erding und Ebersberg, sähe es wohl auch ganz gut aus mit einem aussichtsreichen Platz auf der Grünen-Landesliste, denn die Grüne Jugend Bayern hat Lanzinger bereits Mitte September auf dem Landesjugendkongress in Neusäß bei Augsburg ihre Unterstützung zugesichert.

Bei der ersten Kandidatur vor vier Jahren erhielt Lanzinger 10,2 Prozent der Erststimmen, das war allerdings noch vor dem großen Aufwind der Partei in den vergangenen Jahren - die Chancen von Ami Lanzinger 2021 wären also höchstwahrscheinlich größer als die von Anna-Maria Lanzinger 2017.

Damals hatten sich die Grünen stolz darüber gezeigt, dass eine junge Frau zur Kandidatur bereit war, doch Ami Lanzinger weiß inzwischen schon lang, dass das eigentlich nicht die richtige Beschreibung war. "Man bekommt in der Gesellschaft ein heteronormatives Bild vermittelt, dass man mit einem Geschlecht geboren wird und mit diesem Geschlecht auch lebt. Doch irgendwann habe ich mir selbst eingestanden, dass ich keine Frau bin." Gerade auf dem Land fällt es schwer, dieses Konstrukt in Frage zu stellen, das ist auch in Walpertskirchen im Landkreis Erding nicht anders, wo Ami Lanzinger aufgewachsen ist und wo die Familie heute noch lebt.

Es habe schon immer Situationen in der Kindheit und Jugend gegeben, wo Zweifel an seinem Geschlecht aufgekommen seien, erzählt Lanzinger. Der nächste Schritt - der an die Öffentlichkeit - fiel ihm nicht leicht. Doch Familie und Freunde reagierten im Sommer positiv, wenn auch mit vielen Fragen, beispielsweise, was die richtige Ansprache betrifft. Die größere Öffentlichkeit hat Ami Lanzinger auf Twitter informiert: "Falls ihr euch fragt: Meine Pronomen sind er/ihm und they/them und meine bevorzugte Anrede "Ami Lanzinger" statt Herr/Frau."

Auch wenn das Outing momentan im privaten Leben eine wichtige Rolle spielt, nennt Lanzinger - der sich seit vielen Jahren in verschiedenen Ämtern bei den Grünen auf Landesebene und lange auch auf Kreisebene engagiert - auf die Frage nach den Themen, die ihm am Herzen liegen, doch erst mal viele andere als die Gender-Politik. Wie bereits bei der vergangenen Kandidatur geht es ihm, neben dem Klimaschutz, um Arbeit und Soziales, darum, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinanderklafft. Wenn er davon spricht, dass Menschen mit einem normalen Gehalt nicht mehr über die Runden kommen, schöpft der 24-Jährige auch aus seiner eigenen Erfahrung. Es habe in seinem Leben Zeiten gegeben, da habe er überlegen müssen, wie er sein Essen finanziere, erzählt er. "Inzwischen bekomme ich ein Stipendium und muss wenigstens im Laden nicht mehr ständig überlegen, ob ich mir die Paprika noch leisten kann oder nicht", sagt Lanzinger.

Nach der Mittleren Reife hat er eine Ausbildung als Medienkaufmann absolviert, eine Elektronikerlehre abgebrochen und noch einige andere berufliche Stationen hinter sich gelassen, bevor er auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachmachte und nun physikalische Technik an der Hochschule in München studiert. Das Bachelorstudium ist im Spätsommer 2021 vorbei - ein erneuter Berufswechsel und ein Umzug nach Berlin wäre dann also gut möglich. "Wenn nicht, dann schließe ich eben noch ein Masterstudium an."

© SZ vom 24.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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