Ferienaktion in Ebersberg:Nur das Zeltdach ist die Grenze

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Beim Mitmachzirkus auf dem Volksfestplatz können Kinder viel Neues ausprobieren

Von Hoda Shoeir, Ebersberg

Von draußen hört man schon die "Allez hop!"-Rufe; bevor man hineingeht, sieht man von außerhalb des Zelts nichts als die kleinen umherrennenden Füße. Besonders kleine Füße stehen vor dem langen Kletterseil in der Mitte der Manege. Lena ist erst sechs Jahre alt und möchte es schaffen, als Erste die Decke des Zelts zu erreichen. Obwohl sie im Kletterverein ist, glaubt sie, dass sie mehr Übung braucht, um dies zu bewältigen. "Nicht jedes Klettern ist das gleiche Klettern", erklärt sie. Deshalb müsse sie noch viel öfter an dem Hängeseil trainieren, bevor sie sich die Spitze des Zelts vornehmen kann. Auf die Sprünge helfen ihr bei diesem Ziel Stefanie Frank und ihre Familie, die am Sonntag das große bunte Zelt ihres Mitmachzirkus auf dem Ebersberger Volksfestplatz aufgebaut haben. 38 Kinder aus dem ganzen Landkreis haben sich angemeldet, um sich hier zu kleinen Artisten ausbilden zu lassen.

Auch Lenas zehnjährige Zeltgenossin Hanna hat sich viel vorgenommen. "Ich möchte hier alles ausprobieren!", ruft sie begeistert. Damit meint sie auch wirklich alles: die Schwebebalken, das Trapez, das Jonglieren bis hin zu dem Unterhaltungsakt des Clowns. "Sonst verpasse ich ja etwas", sagt sie, das wäre natürlich bedauerlich.

Links von der Manege befindet sich der Schwebebalken, auf diesem lernen die Kinder Kunststücke, gehen in die Hocke und machen, je nach Fähigkeit, eine Schwebefigur. Während eine sich auf dem Balken von der Trainerin führen lässt, sind die anderen Mädchen dabei, ihre Standfiguren auf dem Boden einzuüben. Die Arme schießen nach oben, das Bein kickt nach vorne, Füße gespitzt und Nase nach oben, so als wären sie bereits jahrelang im Ballett. Sogar als die Projektleiterin Stefanie Frank ihnen anbietet, eine kurze Pause zu machen, bestehen sie darauf, die Kür ein letztes Mal zu wiederholen.

Jonglieren, Balancieren, Klettern, Kunststücke am Trapez: Die 38 Buben und Mädchen probieren alles mit Begeisterung aus. (Foto: Christian Endt)

"Es geht uns nicht darum, den Kindern ein paar Kunststückchen beizubringen", sagt die Schwester der Projektleiterin, Doreen Frank, "das ist vorrangig pädagogisch. Die Kinder lernen viel Wertvolles, hier wird auch keiner ausgelacht. Hier wird unterstützt, zusammengehalten, angefeuert. Hier lernt ein Kind vor allem, was es bereits konnte, aber nie entdeckt hat." Seit sechs Jahren zieht die Familie mit ihren Wohnwagen durch Bayern, um Kindern diese Möglichkeit anzubieten. Fünf Tage hat die Familie des Circus Carl Brumbach für das Training eingeplant, am letzten Tag, dem kommenden Freitag, soll eine Gala stattfinden, bei der die Kinder ihre erlernten Kunststücke vorstellen können. Bis dahin trainieren die Kinder täglich im Zirkuszelt auf dem Volksfestplatz.

Oft sehen Eltern den Mitmachzirkus als Gelegenheit, ihre Kinder zu beschäftigen, sagt Frank, sie merken aber am Tag der Gala, wie talentiert und zielstrebig ihr Kind in Wahrheit ist. Sie erzählt, dass sie oft mit Problemkindern arbeiten, von denen erwartet wird, dass sie die nötige Disziplin für die Manege nicht aufbringen könnten. "Als sie dann entdeckt haben, was ihnen gefällt, haben sie gar keinen Ärger gemacht, waren sogar ganz ruhig und rezeptiv gegenüber Anweisungen."

Auch einem Jungen im Rollstuhl wurde wegen seiner Ganzkörperlähmung zunächst von der Teilnahme am Mitmachzirkus abgeraten. Dieser war am Tag der Gala zusammen mit einer Akrobatin der Eröffnungsakt und bediente im Clownskostüm mit der Hand eine Seifenblasenmaschine. Die Seifenblasen flogen durch das Zelt, und schon flossen die Tränen, erzählt die 35-jährige Mutter von zwei Mädchen, die ebenfalls im Zirkus sind.

Erwartet hatten die Veranstalter 80 Kinder, gekommen sind dann doch deutlich weniger. "Es ist das erste Mal, da ist man noch etwas skeptisch", spekuliert Frank. Doch sie fürchtet, dass es auch noch einen anderen Grund dafür geben könnte, dass das Interesse nicht so hoch ist. Der Zirkusruf sei in den vergangenen Jahren beschädigt worden, sagt sie. Oft hätten die Menschen Bilder von peitscheschwingenden Elefantendomteuren vor Augen, dadurch könne sich über die Zeit eine Abneigung zum Zirkus entwickeln, mit entsprechenden Folgen für den Kinderzirkus, in dem es überhaupt keine Tiere gibt - außer welchen aus Plüsch.

Mittlerweile guckt sich Hanna den Clown an. Er bereitet mit den Kindern eine Show vor. "Allez hop!" ruft der zehnjährige Miguel und wirft einen Hulareifen in die Luft. Davor steht ein Plüschtiger, der von ihm angewiesen wird, durch den Reifen zu springen. Miguel spielt Verwunderung vor und kratzt sich den Kopf. Erwartungsvoll schaut er den Tiger an und wiederholt seinen Ruf. Als dieser ein zweites Mal ungehorsam ist, gibt ihm Miguel einen Tritt und befördert ihn selbst durch den Reifen, Hanna muss dabei sehr lachen. Vielleicht hat sie sich entschieden, dass das ihr Herzensakt ist.

Lena bleibt bei ihrem Ziel, sie guckt von unten bis oben das Kletterseil an. Sie trägt einen Sicherheitsgürtel und packt mit den kleinen Händen, die nicht einmal die Dicke des Seils umfassen können, fest an und klettert los.

© SZ vom 28.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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